Heimkehr
totgeschossen wurdest, als du zum letzten Mal Räuber und Gendarm spieltest?«
»Hm.«
»So verhält es sich auch mit dem Prinzip«, sagte ich. »Es nimmt keine Notiz von den Spielen, die uns so viel bedeuten. Probier es aus. Dreh dich so, daß du das unendliche Zahlenprinzip, die unsterbliche Realität des numerischen Seins im Rücken hast.«
Er wechselte den Platz, drehte sich etwas nach links.
»Sprich: Ich hasse das Zahlenprinzip!«
»Ich hasse das Zahlenprinzip«, wiederholte er, nicht sehr überzeugt.
»Probier diesen Satz mal aus: › DAS SCHLEICHENDE DUMME ZAHLENPRINZIP FRISST RAFFINIERTEN ZUCKER , GESÄTTIGTE ÖLE UND BLUTIGES FLEISCH !‹«
Er lachte.
»Vorsicht bei dem folgenden Satz, Kapitän. Wir benötigen eine Menge Mut, weil wir uns auf etwas gefaßt machen können, wenn wir hier etwas Falsches rufen: DAS VERDAMMTE , VERLOGENE , LAUSIGE , NICHTSNUTZIGE , SANDWURMÄHNLICHE , ÜBERFLÜSSIGE SOGENANNTE ZAHLENPRINZIP IST DÜMMER ALS EINE PFERDEBREMSE ! WIR FÜRCHTEN SEINEN BLITZSTRAHL NICHT , WENN ES VERSUCHEN SOLLTE , DIE EXISTENZ SEINES MISERABLEN SELBST ZU BEWEISEN !«
Nach dem Wort »sandwurmähnlich« verhaspelte er sich und brachte den Rest des Satzes nur mit Mühe zustande. Zum Schluß stieß er jedoch noch einen kräftigen Fluch gegen das Prinzip aus.
Nichts geschah.
»Wir können also das Prinzip ignorieren, wir können es hassen, verfluchen, bekämpfen, uns darüber lustig machen«, sagte ich. »Kein Bannstrahl, nicht das geringste Zeichen von Mißfallen vom Himmel. Warum nicht?«
Er dachte lange darüber nach.
»Wieso ist es dem Zahlenprinzip schnurzpiepe?« fragte ich.
»Weil Es nicht zuhört«, sagte er schließlich.
»Wir werden also nicht bestraft, wenn wir das Prinzip demolieren?«
»Wir werden nicht bestraft«, erwiderte er.
»Schlecht.«
»Wieso? Es hört nicht zu!«
»Es hört nicht zu, Dickie,« sagte ich, »aber wir existieren.«
»Wenn wir dem Zahlenprinzip den Rücken kehren, was geschieht dann in unserer Arithmetik?«
»Es wird sich nichts bemerkbar machen?«
»Nein, nichts. Die Antworten fallen jedesmal verschieden aus, die Geschäftswelt und die Wissenschaft können sich darüber nicht einig werden. Geben wir das Prinzip auf, gereicht es uns zum Nachteil, nicht dem Prinzip!«
»Eine heilige Kuh«, fügte er hinzu.
»Aber kaum besinnst du dich auf das Prinzip, funktioniert sofort wieder alles. Eine Entschuldigung erübrigt sich, Es könnte sie nicht hören, selbst wenn wir laut riefen. Niemand erhält eine Bewährungsfrist, niemand wird bestraft, niemand wird vom Unendlichen gescholten. Die Erinnerung an das Prinzip führt augenblicklich dazu, daß alle unsere Summen stimmen, denn selbst auf den imaginären Tummelplätzen des Scheins ist das Prinzip real.«
»Interessant«, bemerkte er, ohne das Gesagte zu glauben.
»Und nun habe ich dich eingeholt, Dickie. An die Stelle des Zahlenprinzips laß uns jetzt das Lebensprinzip setzen.«
»Das Leben existiert«, sagte er.
»Das reine Leben, die reine Liebe, die Kenntnis unseres ureigenen Ichs. Sagen wir doch, jeder von uns ist ein vollkommener, einmaliger Ausdruck jenes Prinzips, wonach wir jenseits der Raumzeit existieren — unsterblich, ewig, unzerstörbar.«
»Wenn es so ist, was folgt daraus?«
»Uns steht dann frei, alles zu tun, was wir wollen, ausgenommen zwei Dinge: Wir können die Realität nicht erschaffen, und wir können sie nicht zerstören.«
»Was können wir dann machen?«
»Das herrliche Nichts in allen seinen schillernden Formen… Wenn wir uns in ein geborgtes Leben begeben, womit können wir dann rechnen? Wir können grenzenlose Welten des Scheins erkunden, Geburten und Tode kaufen, dazu Tragödien und Vergnügen, Unglück und Frieden, Schrecken und Edelmut, Grausamkeit und Himmel und Hölle, wir können uns Überzeugungen leisten und sie uns mit vielen quälenden oder erfreulichen Details ausschmücken. Aber noch lange bevor die Zeit beginnt oder wenn sie schon längst geendet hat, in jedem Augenblick existieren das Leben und wir. Was wir am meisten fürchten, ist eines: Wir können nicht sterben, wir können nicht zerstört werden. Das Leben existiert. Wir existieren.«
»Wir existieren«, sagte er unbeeindruckt. »Was soll’s?«
»Sag mir, Dickie. Worin besteht der Unterschied zwischen zufälligen Opfern, die ein Leben führen müssen, in das sie hineingeworfen wurden, und Meistern, die ein Leben führen, das sie nach Belieben ändern können?«
»Opfer sind hilflos«,
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