Heimkehr am Morgen (German Edition)
dabei?«
»Selbstverständlich nicht, dieser Feigling«, sagte die alte Frau.
Im selben Moment hörten sie vorn Glas klirren. Ein Gewirr aus erhobenen, wütenden Stimmen, die einander zu übertönen versuchten, erinnerte an eine Herde wilder Tiere. Jess stieß einen kleinen Schrei aus.
Cole sprang vom Stuhl auf und rannte ins Wartezimmer, gefolgt von Jessica. Ein Stein von der Größe eines Baseballs lag auf dem Boden. Er hob ihn auf.
»Um Gottes willen. Sie greifen die Praxis an!«, rief Jessica.
Als er aus dem Fenster sah, erkannte er einige der Leute, die sich laut Jessicas Beschreibung bereits vor der Schule versammelt hatten. Er setzte sich energisch den Hut auf den Kopf.
Aufgebracht riss er die Tür auf und trat ihnen gegenüber. Jessica wollte ihm folgen, doch er schob sie zurück zu Granny Mae, die hinter ihr stand.
»Da ist ja der Unzuchtsünder, am Ort des Verbrechens!«, dröhnte James Leonard und wedelte mit seinem Schild. Seine Frau Dolly versteckte sich am Rand der Gruppe und sah so elend aus, als wäre sie nicht freiwillig hier.
»Wovon reden Sie, Leonard? Und welche Beweise haben Sie für Ihre Anschuldigungen?«
Leonard trug einen kurzen Bart, der seiner Kinnlinie folgte, und einen schwarzen Filzhut. »Reverend Jacobsens Wort genügt mir.«
Cole warf den Stein in die Luft und fing ihn wieder auf. »Wenn ich Ihren Vandalismus und die Zerstörung meines Eigentums beim Sheriff melde, müssen Sie sich vor dem Amtsrichter verantworten. Das würde
mir
eigentlich genügen. Und wenn er Sie zu Gefängnis verurteilt, werde ich richtig glücklich sein.«
Leonard blähte sich auf wie eine wütende Kröte. »Ich habe den Stein nicht geworfen.«
»Ach wirklich? Aber Sie sind hier,
am Ort des Verbrechens
.«
»Wir möchten, dass Jessica Layton aufhört, hier in Powell Springs als Ärztin zu praktizieren, und dass sie die Stadt verlässt. Sie ist hier nicht mehr willkommen.«
Cole warf den Stein beiseite und ließ seine Hand neben der Pistole an seiner Hüfte baumeln. »Jetzt passt mal auf, ihr Unruhestifter. Ihr verschwindet jetzt sofort von diesem Grundstück oder ich schwöre bei Gott, ich rufe Sheriff Gannon an, so schnell, dass ihr noch heute Nacht in der Zelle sitzt.«
Granny Mae schlängelte sich hinter Cole hervor. Ein Blick in die wütende Menge brachte ihn zu dem Schluss, dass die alte Frau hier angesichts der aufgeheizten Stimmung nicht sicher war. Er streckte den Arm aus, um sie aufzuhalten, doch sie ließ sich nicht beirren. Ihr durchdringender Blick glitt über die Schar der blindwütigen Anhänger. »Wisst ihr, ich habe manch einen von euch im Krankenhaus gesehen, da wart ihr so krank, dass wir um euer Leben bangen mussten. Dr. Layton hat sich um euch und eure Familien gekümmert – eure Ehefrauen, Brüder, Schwestern, Kinder – und sie hat nie etwas dafür verlangt. Dieser Mann hier«, sagte sie und zeigte auf Cole, »hat vom ersten Tag an geholfen und euch von den Ladeflächen der Fuhrwerke ins Krankenhaus geschleppt. Auch er hat nichts dafür verlangt. Sein Bruder ist gerade in Frankreich gefallen, seine Familie ist in Trauer, und so zahlt ihr es ihm zurück – mit euren schmutzigen Beschuldigungen?« Sie schnaubte verächtlich und angewidert auf. Man hörte Füßescharren und Gemurmel. »Jetzt tut, was Cole gesagt hat. Geht nach Hause, kümmert euch um eure eigenen Angelegenheiten und hört auf, Leute zu belästigen, die euch nichts getan haben.«
Die Menschen begannen abzuziehen, nur Leonard drohte ihnen: »Wir haben immer noch unsere Petition. Wir werden diese Frau doch noch loswerden.«
Zu dritt blieben sie auf der kleinen Veranda stehen, bis sich die Gruppe aufgelöst hatte.
Jessica ergriff schmunzelnd zuerst das Wort. »Granny Mae Rumsteadt, Sie überraschen mich.«
Granny Mae hob das Kinn und bot Jessica einen Blick in ihre hoch angesetzten Nasenlöcher. »Ich kann Tyrannen nicht ausstehen. Ihr Vater und ich hatten unsere Zwistigkeiten, aber er war ein guter Mensch, Jessica. Und auch dein Vater, Cole, er ist dickköpfig wie ein Maulesel, so wie ich, hat aber ein gutes Herz.« Sie lächelte verstohlen, was Cole grübeln ließ, ob sich hinter ihrer beiläufigen Bemerkung eine tiefere Bedeutung verbarg. »Und sie haben gute Kinder.« Diese Formulierung ließ taktvollerweise offen, ob Amy ebenfalls gemeint war.
»Es ist noch nicht vorbei«, sagte Jessica.
»Vermutlich nicht. Aber für heute schon«, entgegnete Cole.
»Ich muss nach Jeremy sehen. Ich muss zurück zum
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