Heimkehr am Morgen (German Edition)
zuhalten, oder nach Anzeichen für Ärger. Beim Gehen massierte sie sich den Nacken. Nach allem, was passiert war, begann sie sich zu fragen, was das alles eigentlich noch für einen Sinn hatte. Warum sollte sie weiterhin als Ärztin arbeiten?
Schließlich hörte sie den Motor des Lastwagens und rannte zum Fenster. »Gott sei Dank«, sagte sie laut und sah zu, wie Cole vor der Schmiede anhielt. Sie riss die Haustür auf, und er kam lächelnd auf sie zu. Bei seinem bloßen Anblick wurde ihr schon leichter ums Herz. Obwohl er immer noch etwas mitgenommen wirkte, schien er sich ein bisschen erholt zu haben.
»Jess.« Er trat durch die Tür und zog sie hinter sich zu. Dann nahm er Jessica in die Arme und gab ihr einen kurzen Kuss. Als er sie losließ, sagte er: »Entschuldige, ich rieche wohl ein bisschen streng.« Er roch nach frischem Schweiß und Heu und Pferden, was sie sehr männlich und verführerisch fand, angenehm anders als Adams muffiger Anzug und sein Haaröl. Sie spürte, dass Cole einen Waffengürtel mit einem langläufigen Revolver im Holster trug.
Die Männer in New York trugen keine Waffen, aber hier war es anders. Das hier war immer noch der Wilde Westen.
»Ich bin froh, dass du hier bist.«
»Nach deinem Anruf bin ich sofort losgefahren. Geht es dir gut?«
»Nein.« Sie war sonst nicht so direkt – von ihr erwartete man immer, dass alles bestens war, komme, was wolle. Aber jetzt ging es ihr nicht gut, und da der Grund auch ihn betraf, musste er ihn erfahren. »Komm und setz dich. Ich wünschte, du hättest die Flasche Whiskey mitgebracht.« Mit einem letzten kurzen Blick auf die Straße verriegelte sie die Haustür. Dann wies sie in Richtung des Arbeitszimmers.
Ihre auffällige Nervosität ließ ihn die Stirn runzeln. »Was ist denn los? Es klingt, als wäre es ernst.«
»Es ist ernst.«
Sie setzten sich auf die beiden einzigen verbliebenen Stühle, und dann erklärte sie ihm, was passiert war.
Seine Miene verdüsterte sich wie der Himmel bei Sturm. »Zur Hölle mit diesem elenden Mistkerl! Ich wusste doch, ich hätte ihm eine verpassen sollen, als ich Gelegenheit dazu hatte.«
Sie schüttelte energisch den Kopf. »Nein, Cole, du verstehst das nicht. Wir sind beide angreifbar. Wenn du ihn geschlagen hättest, hätte er nur noch mehr Munition gegen uns. Er wird ganz bestimmt meinen Ruf ruinieren. Vielleicht … vielleicht hilft ihm sogar Amy dabei.« Ihre Stimme zitterte einen Augenblick, Tränen traten ihr in die Augen. »Denk bloß nicht, dass du nicht auch auf seiner schwarzen Liste stehst.« Sie stützte die Stirn mit der Hand.
»Ach
zur Hölle
, ich wünschte, du hättest ihn gar nicht erst reingelassen«, polterte er und schlug mit der Faust auf die Stuhllehne.
Schuldbewusst wie ein Kind, das man beim Stehlen erwischt hat, biss sie sich auf die Lippe und senkte den Blick auf ihren Schoß.
Er streckte die Hand aus und tätschelte ihr Knie. »Ich mache dir ja keine Vorwürfe, Jessica. Aber wenn du ihn nicht so nah an dich herangelassen hättest, hätte er auch nicht solchen Schaden anrichten können.« Er beugte sich vor. »Trotzdem, was kann er mir schon antun? Mir vorwerfen, ich wäre ungeeignet zur Pferdezucht? Um dich mache ich mir Sorgen.«
»Er kann uns einsperren lassen …«
»Oh Mann, das soll er nur versuchen.« Er schnaubte kurz auf. »Einsperren! Weswegen denn?«
»Heutzutage braucht man keinen Grund dafür. Die American Protective League ermuntert die Menschen, ihre Nachbarn, Freunde,
jeden
zu melden. Es ist zu einer richtigen Hexenjagd ausgeartet.«
Ein stürmisches Klopfen an der Haustür unterbrach ihr Gespräch. Als Jessica durch die Scheibe spähte, erkannte sie Granny Mae, die ganz außer Atem war. Sie riss die Tür auf und ließ sie herein. Cole trat zu ihnen.
»Mae, was ist los?«, fragte er.
»Steht es bei einem der Patienten kritisch?«, erkundigte sich Jess und führte sie ins Arbeitszimmer. Granny Mae hob abwehrend dieHand und legte sie sich dann auf die Brust. »Lassen Sie mich erst mal Luft holen.« Nachdem sie ein paarmal tief durchgeatmet hatte, erwiderte sie: »Diese Meute … sie sind auf dem Weg … hierher. James Leonard führt sie an.«
»Was? Weswegen?«, fragte Cole.
»Haben sie den Patienten etwas getan?«
Mae schüttelte den Kopf. »Nein. Sie sind in die Turnhalle gekommen, auf der Suche nach Ihnen. Ich habe ihnen nicht verraten, wo Sie sind, aber ich habe James sagen gehört, sie würden es hier versuchen.«
»Ist Jacobsen
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