Heimkehr am Morgen (German Edition)
hatte. Ganz hinten im Saal lehnte Bert Bauer mit verschränkten Armen am Türpfosten. Seiner nuschelnden Aussprache nach zu schließen, war er stockbetrunken – und anscheinend vollkommen übergeschnappt.
Über die Versammlung senkte sich eine schwere, lastende Stille, sodass Cole sogar das Wiehern eines Pferdes von draußen vernehmen konnte. Mit offenen Mündern und wie festgefroren saßen die Menschen da.
Dann brach Chaos aus.
Alle sprachen gleichzeitig. Manche Zuhörer sprangen auf.
»Dieser nichtsnutzige Bastard«, stieß Tanner hervor, und Cole hätte nicht sagen können, welchen Bastard er meinte.
Adam schnappte sich den Hammer aus Horace Cooksons Hand und begann damit auf den Tisch einzudreschen. Seine Augen wollten ihm schier aus den Höhlen treten, und sein Gesicht glänzte vor Schweiß. »Lasst diesen gottlosen, verderbten Lügner entfernen. Schmeißt ihn raus!«, brüllte er.
Einige Männer in Bauers Nähe packten ihn und versuchten ihn wegzuzerren, doch er wehrte sich und rief: »Es ist keine Lüge! Und ich habe mir das nicht aus den Fingern gesogen. Ich habe einen Zeugen – Sheriff Gannon! Auch er hat diesen Mistkerl mit Emmaline gesehen!«
Adam, der kurz vor einem Tobsuchtsanfall stand, schlug mit dem Hammer auf den Tisch ein, bis der Stiel abbrach und der hölzerne Kopf durch den Saal flog.
Whit Gannon an der gegenüberliegenden Wand schien aus allen Wolken zu fallen, und seiner Miene nach wünschte er sich ganz weit weg.
»Ist das wahr?«
»Sheriff, haben Sie Jacobsen mit Emmaline gesehen?«
»Wer ist Emmaline?« Das wollten einige Frauen wissen.
Cole konnte kaum glauben, welches Drama hier soeben seinen Lauf nahm. Er stand auf, um eine bessere Sicht auf Bauer zu haben, und wandte sich dann wieder an Jacobsen.
»Emmaline ist verheiratet? Mit
Bauer?
«
»Mein Gott!«, rief Pop aus.
»
Wer ist Emmaline
?«, beharrte eine Frau in der Nähe.
Bürgermeister Cookson fing Whit Gannons Blick auf und bedeutete ihm, nach vorn zu kommen. Mit langen, lässigen Schritten trat der Sheriff zum Ratstisch. Adam schien bei seinem Anblick immer mehr zusammenzuschrumpfen.
»Whit«, begann Horace, »sagt Bert Bauer die Wahrheit? Hast du Reverend Jacobsen in einer kompromittierenden Situation mit Em – das heißt, Mrs. Bauer, angetroffen?«
»Ja.«
Birdeen kam mit dem Schreiben kaum nach.
»Und du hast dich nicht vielleicht getäuscht – sie haben sich nicht einfach nur … unterhalten?«
Whit senkte das Kinn. Ein Mundwinkel zog sich nach unten. »Also, Unterhaltung hab ich keine gehört.« Er sah Adam an. »Als Zeuge kann ich bestätigen, dass Bauers Beschreibung ziemlich zutreffend ist. Geschmacklos, aber zutreffend.«
Die Blätter mit der Petition flatterten zu Boden, als Adam kalkweiß und schweißgebadet auf seinen Stuhl sank.
Nachdem die Versammlung geschlossen war, machte Cole sich sofort zu Jessicas Praxis auf. »Und, bereust du jetzt, dass du nicht dabei warst?«
Sie saßen oben im Wohnzimmer, umgeben von Koffern und Kisten, und Jessica sah ihn nachdenklich an. »Nein – na ja, doch, wahrscheinlich schon.« Sie musste lachen. »Ich wette, so eine Bürgerversammlung hat Powell Springs noch nie erlebt.«
»Und das wird’s auch so bald nicht mehr geben, gleich zweiSkandale an einem Abend. Außerdem hat Whit Gannon Bauer wegen Trunkenheit und Erregung öffentlichen Ärgernisses verhaftet, und auch wegen Verdachts auf Diebstahl dieser Schmuckstücke, mit denen er überall bezahlt.« Cole beugte sich auf dem Sofa vor. »Wie dem auch sei, Horace und Roland Bright haben sich entschieden, dich ganz offiziell zu fragen, ob du auf Dauer in der Stadt bleiben willst, da Pearson sich ja für einen Haufen unzivilisierter Bauerntrampel wie uns zu fein ist. Ich habe durchblicken lassen, dass der gute Doktor vielleicht sogar Interesse hätte, deine Stelle in Seattle zu übernehmen.«
»Aber
ich
werde nach Seattle gehen. Es ist meine Stelle, man erwartet mich dort. Heute habe ich schon wieder ein Telegramm bekommen.« Sie stand auf, wandte sich einer offenen Kiste zu und faltete ein Schultertuch.
Cole folgte ihr und führte sie wieder zum Sofa zurück. Dann holte er eine schon etwas abgegriffene schwarze Samtschachtel aus der Tasche. »Jess, wir sollten endlich alles in Ordnung bringen. Wir sind füreinander bestimmt, du und ich. Schon als Kind wusste ich, dass ich dich einmal heiraten will. In den letzten Jahren haben wir stürmische Zeiten durchgemacht, aber damit müssen wir uns doch
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