Heimkehr am Morgen (German Edition)
wir getan haben. Du etwa?«
»Nein, aber …«
»Und wenn wir erst verheiratet sind, wird es nichts mehr geben, worüber sie klatschen können. Es wird ihnen bestimmt langweilig werden, vor allem jetzt, wo man der Meute mit Jacobsen einen neuen Leckerbissen zum Fraß vorgeworfen hat.«
»Würdest du wenigstens darüber nachdenken, mit mir zu kommen?«
Sein Blick wurde kalt und hart, und sie spürte, wie er sich innerlich von ihr zurückzog. Es erinnerte sie an den Tag ihrer Ankunft, als er Eddie ins Café gebracht hatte. »Nein.«
Sie ballte ihre Hände im Schoß zu Fäusten, und ihre Stimme zitterte vor Enttäuschung und Wut. »Nur einmal – ein
einziges
Mal möchte ich, dass jemand, der vorgibt, mich zu lieben, zu mir sagt ›Jessica, für dich würde ich alles tun‹. Von mir erwartet jeder, dass ich seine Seite sehe und für ihn ein Auge zudrücke.
›Ich habe gedacht, du hättest unsere Beziehung beendet, also habe ich angefangen, deiner Schwester den Hof zu machen.‹ ›Ich habe beschlossen, dass du Cole nicht verdienst, also habe ich ihm erzählt, dass du nicht zurückkommst.‹ ›Hure.‹ ›Eine
Frau
als Arzt.‹ ›Du läufst schon wieder weg.‹ Jeder hat eine Entschuldigung für die Dinge, die er mir angetan oder zu mir gesagt hat. Wann wird sich endlich mal jemand auf meine Seite schlagen?«
Er stand auf und legte die Schachtel mit dem Ring auf den Tisch. »Jess, du hast vor langer Zeit versprochen, nach Powell Springs zurückzukehren und mich zu heiraten. Als dein Vater gestorben ist, hast du gelobt, dich um diese Stadt zu kümmern und seine Arbeit fortzuführen. Nicht jeder hier glaubt Adam Jacobsen. Sogar Granny Mae hat sich für dich eingesetzt, hat dich schon zweimal gegen diese kleine Minderheit verteidigt. Ja, natürlich gibt es ein paar Spinner, wie überall. Du wirst ihnen auch in Seattle begegnen, falls du dorthin gehst. Menschen, die meinen, Frauen sollten keine Ärzte werden, Menschen, die hinter deinem Rücken über dich reden. Einige wenige, die dich enttäuschen werden. Aber dort wirst du allein sein. Kein Ort ist vollkommen.«
Jessica sah zu, wie er in die Schaffelljacke schlüpfte, den Hut aufsetzte und sich zum Gehen wandte. In der Tür drehte er sich noch einmal zu ihr um. »Du hast etwas versprochen, und wenn du es nicht erfüllst, dann bist du weder die Frau
noch
die Ärztin, für die ich dich gehalten habe.« Er deutete mit einer Kopfbewegungauf die Samtschachtel. »Solltest du dich entscheiden zu bleiben, steck den Ring an. Falls nicht – du findest mich nebenan.«
Tränen brannten ihr in den Augen, als sie vom Sofa aufsprang. »Dann nimm ihn am besten gleich wieder mit.« Er musterte sie lang, ging schließlich zum Tisch und steckte die kleine Schatulle ein.
Sie hörte seinen schweren Schritt auf der Treppe und im Erdgeschoss. Die Glocke ertönte, als er die Eingangstür öffnete und wieder schloss.
Dann war er fort.
Jessica verbrachte eine furchtbare schlaflose Nacht. Immer wieder spulte sie den Streit mit Cole in ihrem Kopf ab. Er hatte sie nicht nur persönlich angegriffen, sondern auch in ihrer Eigenschaft als Ärztin. Einige Stunden lang weinte sie, bis sie fast keine Luft mehr bekam, schlug auf ihr Kissen ein, stand zweimal auf, um das Laken wieder festzustecken, und trank ein Glas warme Milch. Nichts half.
Schließlich schlug sie die Decke zurück, stand auf, zog sich an und packte den Rest ihrer Sachen. Tränenüberströmt und erschöpft warf sie die Sachen achtlos in den Koffer, ohne sich darum zu kümmern, ob sie später zerknittert oder zerdrückt sein würden. Sie wollte diese Wohnung, diese Stadt so schnell wie möglich hinter sich lassen. Die schweren Sachen wie die Bücher würde sie abholen lassen, sobald sie in Seattle war. Sie kritzelte eine Nachricht, in der stand, wohin sie unterwegs war, und ließ sie liegen. Irgendjemand würde den Zettel schon finden. Vielleicht würde sie von Seattle aus denjenigen Briefe schreiben, die eine bessere Erklärung für ihren Weggang verdienten. Mit der Zeit würde sie vielleicht sogar Amy schreiben.
Vielleicht
. Für den Augenblick hatte sie genug von Powell Springs und den Leuten hier.
Nachdem sie das bisschen Geschirr abgespült, das Bett abgezogen und die Wohnung aufgeräumt hatte, stand sie vor dem Spiegel,zog ihren Mantel an und setzte den Hut auf. Ihre Augen waren vom Weinen und dem Schlafmangel geschwollen und brannten. Wie üblich konnte sie ihre Handschuhe nicht finden, aber das war im Moment
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