Heimkehr am Morgen (German Edition)
einigermaßen dazu in der Lage fühlte, war gekommen. Sogar Virgil Tilly hatte den Saloon heute früher geschlossen, um teilnehmen zu können. Obwohl Roland Bright und Horace Cookson jeden verfügbaren Stuhl im Gebäude herbeischleppten, mussten viele Besucher stehen.
Cole wurde von Susannah und Tanner begleitet, und zu seiner freudigen Überraschung hatte sich ihnen sogar Pop angeschlossen. »Ich lasse nicht zu, dass Leute wie Jacobsen und Leonard unseren guten Namen in den Schmutz ziehen. Die haben vielleicht Nerven, besonders Jacobsen. Ich kann mich erinnern, dass er, bis er sechs Jahre alt war, nicht mal ›Mama‹ sagen konnte, aber seither hat er nicht aufgehört, Blödsinn zu verzapfen.« So energisch hatte sich der alte Herr nicht mehr geäußert, seit das Telegramm gekommen war. Nachdem sie von Rileys Tod und Amys Verrat erfahren hatten, war von Pops Großmäuligkeit nicht mehr viel übrig geblieben. Sogar die Ausflüge in den Saloon hatten ihren Reiz für ihn verloren.
Cole bahnte ihnen einen Weg durch die Menge und führte seine Familie ganz nach vorn, wo sie gute Sicht hatten und alles hören konnten. Mit viel Glück ergatterten sie noch vier Sitzplätze. Im Vorbeigehen spürte er die Blicke der anderen auf sich und bemerkte, dass manche Leute die Köpfe zusammensteckten und tuschelten. Wo er hinsah, waren Menschen, die er schon sein ganzes Leben kannte, Menschen, mit denen er geschäftlich zu tun hatte, an deren Hochzeiten er teilgenommen oder mit denen er auch nur bei Tilly’s am Tresen gestanden hatte. Darauf zählte er. Vielleicht würden sie doch ihm Glauben schenken und nicht dem Mann, der hergekommen war, um seinen Ruf zu zerstören und über Jessica und seine Familie herzufallen.
Auf der einen Seite des Raums wanderte James Leonard mit Stift und Papieren bewaffnet von einer Person zur nächsten, vermutlich, um Unterschriften für die Petition zu sammeln. Auf der anderen Seite tat Jacobsen dasselbe. Kurz vor Beginn der Veranstaltung blieb er bei einer Frau stehen, die ebenfalls weit vorn saß.
»Ach du lieber Himmel!«, flüsterte Susannah und deutete diskret zu ihrer Linken. Alle vier drehten sich in die angegebene Richtung und sahen Amy Layton ein Stück weiter in der Reihe sitzen. Um ihre Schultern hatte sie ein Tuch geschlungen, und sie trug die affektierte, leidende Miene eines Menschen zur Schau, dem bitteres Unrecht zugefügt worden ist. Mit einem besorgten Ausdruck im Gesicht ergriff Adam ihre Hand und beugte sich zu ihr hinunter. Für Susannah war es ein schwerer Schlag gewesen, als sie so kurz nach Rileys Tod erfahren hatte, welches Motiv tatsächlich hinter Amys Freundschaft steckte. Cole wusste, dass sie sich beinahe so verraten fühlte wie er selbst. Sie hatte geglaubt, Jessicas Schwester wäre ihr aufrichtig zugetan, aber sie hatte kein tröstendes Wort von ihr gehört. Nicht einmal, als Amy so weit genesen war, um zu Mrs. Donaldson zurückzukehren, hatte sie ihr einen Beileidsbrief geschickt.
Begleitet von einleitendem Stühlerücken und Flüstern nahmen die drei Stadträte ihre Plätze am langen Ratstisch ein. An einemkleinen Schreibpult zu ihrer Rechten saß Birdeen Lyons in ihrer Eigenschaft als Protokollführerin. In dem Saal war es bereits heiß und stickig, und ein gelegentliches Husten reichte aus, damit sich einige Leute umdrehten und die möglichen Keimträger misstrauisch beäugten. Manche trugen immer noch einen Mundschutz, aber die meisten hatten ihn abgelegt.
Bürgermeister Cookson bat mit einigen Schlägen seines Hammers um Ruhe. »Gut, lasst uns mit der Versammlung beginnen. Zunächst möchte ich die Gelegenheit nutzen und Dr. Fred Pearson in Powell Springs willkommen heißen. Ich denke, ich spreche im Namen aller, wenn ich sage, dass wir sehr froh sind, ihn nach so vielen Monaten hier begrüßen zu dürfen.«
Man applaudierte höflich, und die Leute reckten den Hals, um einen Blick auf den so sehnlichst erwarteten Arzt zu erhaschen. Pearson stand auf und verneigte sich in alle Richtungen, aber auf seinem ernsten Gesicht lag nicht einmal die Andeutung eines Lächelns. »
Frederick
Pearson, wenn ich bitten darf.«
In einer Stadt, in der man nur zum Kirchgang, bei Hochzeiten oder Beerdigungen feine Kleider trug, stach sein teurer Anzug heraus aus all den Latzhosen und der Alltagskleidung aus einfachem Tuch und Drillich.
Adam, der etwas gequält dreinschaute, ließ einige Papiere fallen und sammelte sie eilig wieder auf. Mit einem Blick zu Amy strich er seine
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