Heimkehr am Morgen (German Edition)
über seine Schulter und sah ihre Schwester auf dem Beifahrersitz des Ford sitzen, der am Straßenrand parkte. So sehr es ihr auch widerstrebte, konnte Jess sein Angebot nicht ablehnen. Er war der Einzige, der seine Hilfe angeboten hatte. »Danke, Cole.«
Doch er sah sie nicht an. Sein harter Blick war auf die Zecherrunde gerichtet. »Wir treffen uns in der Praxis«, sagte er schließlich, dann drehte er sich um und ging.
Bevor auch Jess sich zum Gehen wandte, warf sie den Männern ebenfalls einen finsteren Blick zu.
»Ich schäme mich für euch alle.«
Cole legte den ersten Gang ein und machte eine große Kehrtwende, um Amy zu Mrs. Donaldson zu bringen.
»War das
Jessica
, die eben aus dem Saloon gestürmt ist?«, erkundigte sich Amy entsetzt. »Was um alles in der Welt hatte sie denn dort verloren?«
Er lachte grimmig. »Sie hat die Kerle da drin ganz schön dumm dastehen lassen. Eigentlich wollte sie jemanden um Hilfe bitten wegen Eddie Cookson. Er ist krank und muss nach Hause gebracht werden. Aber keiner war bereit dazu.«
Amy klammerte sich mit einer Hand an den Sitz, als sie über ein Furche holperten, und hielt mit der anderen ihren Hut fest. »Krank? Was hat er denn?«
»Jess meint, es ist Influenza, und da wollte keiner der Männer helfen.«
»Gütiger Himmel, warum denn nicht?«
Cole hatte lang genug vor der Tür gestanden, um den Hauptteil der Auseinandersetzung mitzubekommen. »Sie haben Angst, sich anzustecken.«
»Das – das ist unpatriotisch.«
Er erzählte ihr, was er aufgeschnappt hatte.
»Die Pest! Das kann doch nicht sein, oder?«
»Ich weiß es nicht – deine Schwester meint nein. Natürlich wird die Geschichte bis morgen in der ganzen Stadt die Runde gemacht haben. Du weißt ja, was für Klatschmäuler diese Kerle sind. Schlimmer als alte Weiber.«
»Aber wie können sie sich denn weigern zu helfen? Eddie ist ein Infanterist bei der Armee der Vereinigten Staaten, ein Soldat.« Aus dem Augenwinkel sah er ihre empörte Miene. »Wir haben eine Parade für ihn veranstaltet«, fügte sie noch hinzu, als erklärte das alles.
»Mehr oder weniger dasselbe hat Jess auch zu ihnen gesagt, nur war sie etwas direkter. So ist sie eben – edelmütig, empört, geradeheraus.« Ja, das war seine Jess. Dann zügelte er sich. Sie war nicht mehr seine Jess. Dafür hatte sie gesorgt.
»Wie geht es jetzt weiter? Und was ist mit deinem Vater?«
»Pop kann sich im Saloon noch eine Weile die Beine in den Bauch stehen. Das macht ihm nichts aus. Ich fahre dich nach Hause, dann hole ich Eddie ab.«
»Siehst du Cole, du
bist
ein Held.« Sie drückte seinen Arm, sodass er das Lenkrad nach rechts zog. »Wenn du nach Frankreich gegangen wärst, wer würde dann hier diese gute Tat vollbringen?«
Ein schöner Held, dachte er säuerlich und richtete das Lenkrad wieder geradeaus, während sie die stille Russell Street entlangtuckerten, gesäumt von adretten Häusern und Gartenzäunen. Er fühlte sich nicht gerade heroisch.
Vor Mrs. Donaldsons schmuckem, zweistöckigen Haus hielt er an. Durch ein Fenster sah er, wie sie den Tisch im Esszimmer deckte. »Du kommst anscheinend gerade rechtzeitig zum Abendbrot.«
»Heute war ganz schön was los, ich werde nur eine Kleinigkeit essen und dann die Füße hochlegen.«
Er sprang aus dem Wagen und umrundete ihn, um ihr beim Aussteigen behilflich zu sein. Im kühlen, blassen Zwielicht gingen sie zu Mrs. Donaldsons Veranda. Er sah, wie sich die ältere Frau hinter der Haustür postierte. Sie würde mit dem Ohr an der Täfelung jedes Wort belauschen.
»Sie spioniert uns schon wieder nach«, sagte Cole leise.
»Pst! Ich glaube, sie ist einfach nur eine romantische Seele«, flüsterte Amy lächelnd. »Sie hat den Tod von Mr. Donaldson nie verwunden.«
Cole schnaubte verächtlich. »Donaldson ist vor zwanzig Jahren gestorben.« Seiner Ansicht nach war die alte Dame nur eine neugierige Schnüfflerin. Das sagte er aber nicht laut, weil er wusste, dass Amy sie sehr mochte. Er nahm Amys behandschuhte Hand in seine und gab ihr einen keuschen Kuss auf die Wange.
»Danke, dass du Jessica geholfen hast.«
Er wollte einwenden, er habe nicht Jessica geholfen, sondern Eddie. Aber das hätte nur die Stimmung verdorben. Und er war auch gar nicht sicher, ob es zutraf. Er zuckte mit den Schultern. »Was hätte ich denn sonst tun sollen? Ich möchte ja auch, dass mich jemand nach Hause bringt, wenn ich zu krank zum Laufen bin.«
»Und deshalb bist du mein Held.« Amy blickte
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