Heimkehr der Vorfahren
Augen begannen ihm zu tränen. Er zog das Taschentuch hervor, verstohlen, damit Romeda es nicht sah; es war eines von früher – nicht aus keimtötendem Gewebe. Dann riß er die Lider auf und starrte auf die Wellenlinien, deren Farbe grün geblieben war. Sie begannen zu zucken, ihre Höhe ging zurück.
Romeda drückte sich mit beiden Händen aus dem Sessel und reckte sich. »Kommen Sie. Wir lassen ihn allein. Alles andere ist jetzt Sache des Gerätes. Es schaltet sich selbst aus. In einer Stunde sehen wir nach Stafford.«
Romain hatte die Nacht in einem Hotel der Schnellbahn verbracht. Ihm war beklommen zumute. Nun, da er bald Mika Grabeu, dem Ziel seiner langen Reise, gegenüberstehen würde, war er nicht mehr sicher, ob der Zweck seines Besuches sein Verhalten in den letzten Wochen rechtfertigte.
War es nicht absurd, anzunehmen, er könnte sich gegen seine innere Zwiespältigkeit wappnen, indem er sich äußerlich den Zeitgenossen anglich? Auch war es durchaus fraglich, ob sein Besuch Erfolg versprach. Grabeu hatte nur mit Pflanzen und Tieren experimentiert, seine Methoden der Wachstumssteigerung konnten für den menschlichen Körper unwirksam oder sogar gefährlich sein.
Er hatte sich die halbe Nacht von einer Seite auf die andere gewälzt, unschlüssig, was er tun sollte. Schließlich gelang es ihm, sich einzureden, daß sein Anliegen an Grabeu, wenn es auch nur zu einem bescheidenen Ergebnis führte, all seinen Genossen zugute kommen würde.
Als er aufstand, fühlte er sich wie zerschlagen. Der Spiegel zeigte ihm ein bleiches Gesicht mit geröteten Augenlidern. Die Haare fielen ihm wirr in die Stirn. Es gelang ihm nicht, sie in eine gutaussehende Form zu bringen. Ehe er seine Reise fortsetzte, mußte er unbedingt einen Frisiersalon aufsuchen.
Nach dem Frühstück nahm er sich vor, heute endgültig an den Bermejo zu fahren und Grabeu aufzusuchen – mochte der von ihm denken, was er wollte.
Romain rollte die Kunststoffschaumdecke zusammen, schob sie in den Desinfektionskasten, klappte das Bett mit der Schaumgummiunterlage in die Wand, verschloß sämtliche Wandschränke, verließ das Zimmer und stellte die automatische Reinigung an.
Da fiel ihm ein, daß er seine Hausschuhe im Zimmer gelassen hatte. Gedankenlos faßte er nach der Klinke. Sie war verriegelt. Er stoppte die Reinigung mit dem Notknopf und öffnete die Tür. Der Fußboden glänzte vor Nässe. Seine Hausschuhe waren durch das Zimmer geschwommen und klemmten nun im Abflußdeckel. Romain betrachtete sie verärgert. Zehn Minuten würde er warten müssen, ehe die Lösung trocknete. Er legte sie aufs Fensterbrett und suchte den Objektleiter. Der saß im Klubraum mit anderen Gästen zusammen.
»Wo finde ich den nächsten Friseur?«
»Gehen Sie am besten in den Salon Figarobot.« Der alte Mann kicherte und wechselte mit einigen Gästen verschmitzte Blicke. »Dort werden Sie bestens bedient. Nächste Abzweigung links!«
Romain maß dem Gebaren des Alten keine Bedeutung bei. Er holte seine Hausschuhe und verließ das Hotel. Der Frisiersalon, ein geschmackvoll eingerichtetes Appartement, war noch leer.
»Guten Morgen, bitte nehmen Sie Platz!« begrüßte ihn eine Lautsprecherstimme.
Romain setzte sich auf einen der Sessel und versank in einem tiefen Polster.
Wieder erklang die Stimme im Lautsprecher: »Welche Frisur wählen Sie bitte?« Der Spiegel vor ihm wurde blind, hinter dem Glas leuchteten mehrere mit Ziffern bezeichnete Frisuren auf. Romain fiel die Auswahl nicht leicht. Wo nur der Friseur blieb? Aber das Schweigen drängte ihn zur Antwort. »Bitte die Neun.«
»Wollen Sie bitte die entsprechende Taste drücken? Vor Ihnen auf dem Tisch.«
Romain tat es.
»Lehnen Sie sich bitte fest an, und legen Sie die Arme auf die Armstützen.«
Er fuhr zusammen. Um seine Handgelenke schlossen sich zwei Klammern und hielten sie sanft, aber unlösbar fest. Er wollte sich vorbeugen, spürte aber auch an den Schultern zwei Klammern. Mit Entsetzen bemerkte er im Spiegel, wie sich aus der Wand hinter ihm zwei weitere Klammern schoben und sein Kinn umschlossen. Auch sie waren sanft; versuchte er aber, sich zu rühren, verstärkten sie behutsam ihren Griff.
Romain wartete unwillkürlich auf eine höhnische Stimme: »Hab’ ich dich endlich!« Der Lautsprecher bat ihn aber nur, er möge sich noch ruhiger verhalten.
Da gab Romain den Widerstand auf und ließ alles über sich ergehen.
Eine Scheibe fuhr ihm über den Kopf. Dann senkte sich eine große Haube herab, die
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