Heimkehr in Die Rothschildallee
Porzellangefäß mit Stilton-Käse. Auf das hellgelbe Couvert hatte eines der Kinder »My darling Granny!« in Blockbuchstaben geschrieben und jeden Buchstaben in einer anderen Farbe ausgemalt, am Ausrufezeichen flatterte der Union Jack. Feuertränen brannten in Betsys Augen. Alle hatten sie ihre Buchstaben ausgemalt – Otto, Clara und Erwin, Victoria, Alice und Claudette. Nur Fanny und Salo nicht. Als die zu schreiben lernten, malten jüdische Kinder nicht mehr Buchstaben bunt an.
Auf sieben einzeilig beschriebenen Schreibmaschinenseiten versuchte Alice, zehn Jahre Leben nachzutragen. Allerdings vertat sie die erste Seite mit der minutiösen Erklärung, weshalb sie so lange gebraucht hatte, ihre Mutter zu finden. »Die Engländer sind wieder mal an allem schuld«, mutmaßte sie. »In den letzten beiden Jahren sind sämtliche Briefe, die ich nach Palästina schrieb, nicht dort angekommen, obwohl Erwin, Clara und Claudette seit vier Jahren an der gleichen Adresse in Tel Aviv wohnen. Im letzten Brief stand, dass sie uns sofort geschrieben haben, als sie erfuhren, dass Du, liebe Mutter, überlebt hast. Nur haben sie Deine Adresse damals noch nicht gehabt und auch nicht gewusst, dass Anna Hans geheiratet hat und jetzt Dietz heißt. Gott sei Dank ist Erwin doch noch so schlau gewesen, an die Jüdische Gemeinde in Frankfurt zu schreiben. Leon und ich sind überhaupt nicht auf die Idee gekommen, dass wieder eine existiert.
Wahrscheinlich schmort die Post der Sternberg-Geschwister in irgendeinem englischen Zensurbüro, und irgendein Offizier stopft seine Stiefel damit aus. Als Rache für das King David Hotel, das ja vor zwei Jahren ordentlich was abgekriegt hat und um ein Haar ganz in die Luft geflogen wäre. Jetzt machen die Engländer ja sämtliche Juden auf der Welt dafür verantwortlich. Übrigens wurden sie vorher gewarnt, dass es einen Anschlag geben würde, aber wo kämen wir hin, wenn Britannia auf jüdische Warnungen reagiert?
Du siehst, auch in Südafrika sind die Engländer nicht beliebt. Trotzdem gehen unsere Jungs auf eine englische Schule. Es sind nun mal die besten im Land, auch wenn die Kinder lernen, dass nur die Engländer tapfer sind und dass Buren, Inder und Neger dumm, frech, feige und faul sind. Kommt Dir das bekannt vor? Leon schäumt jedes Mal, wenn er das hört. Aber ich will mich nicht beschweren. Es ist sehr schwer, hier eine gute Schule zu finden, die halbwegs erschwinglich ist. Die Schule hier in Kapstadt gestattet unseren Söhnen, ihr koscheres Essen mitzubringen, und zwingt sie nicht, am gemeinsamen Mittagessen teilzunehmen. Auch zur Morgenandacht müssen sie nicht. Drei schulpflichtige Kinder gehen enorm ins Geld. Allein die Schuluniformen, die Sportgeräte und die Privatlehrer kosten ein Vermögen. David spielt Hockey, Aby wird nach Meinung seines Musiklehrers ein zweiter Chopin und hat Klavierunterricht (wenn ich denke, was das bei mir gebracht hat, bekomme ich graue Haare), und für alle drei Jungen haben wir zusätzlich zum Religionsunterricht bei der Gemeinde einen jungen Mann aus Lodz engagiert, der drei Mal die Woche ins Haus kommt und ihnen nebst Hebräisch lesen all das beibringt, was Leon in seinem Elternhaus gelernt hat. Unsere kleine Rachel, die von ihren Brüdern leider vergöttert wird und die noch viel verwöhnter ist, als ich es in der schönsten Zeit meines Lebens war, kostet vorerst nur Nerven. Zu meinem großen Glück hat sie eine wunderbare Kinderfrau (schwarz), der nie etwas zu viel wird und die es mir möglich macht, vormittags in der Praxis eines jüdischen Augenarztes zu arbeiten und mich jeden zweiten Mittwoch mit meinen beiden Freundinnen zu treffen (beide aus Wien) und drei Stunden lang so zu tun, als hätte ich weder Pflichten noch Sorgen.
Mein Chef ist ein Schatz. Er stammt aus Augsburg und gehört zu den Menschen, die nicht behaupten, sie hätten ihre Muttersprache vergessen, was hier unter den Emigranten Brauch ist. Ich genieße es, mit ihm Deutsch zu sprechen. Leon und ich haben das auch mit den Kindern versucht, damit sie zweisprachig aufwachsen, aber es klappt nicht. Die Bengel gehorchen erst, wenn der Befehl auf Englisch kommt. Dr. Hausmann ist ganz versessen auf Aby. Seine Frau und sein Sohn, den er zum letzten Mal gesehen hat, als er so alt wie Aby war, sind nicht mehr aus Deutschland herausgekommen. Er hat durch das Rote Kreuz erfahren, dass sie in Auschwitz ungekommen sind. Nun verbringt er alle jüdischen Feiertage und die Freitagabende bei uns.
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