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Heimkehr in Die Rothschildallee

Heimkehr in Die Rothschildallee

Titel: Heimkehr in Die Rothschildallee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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geboten unauffällig nach Block und Bleistift hinter dem Glas mit den Grünen Bohnen für Eberhardts Heimkehr geschaut hatte, referierte sie über Deutschlands »Endsieg«. Immer öfter schwärmte sie nun von der Wunderwaffe, die die Wende bringen würde, wobei sie scharf in die Runde sah, wenn sie sprach. Auch eine Frau wie sie brauchte die Sicherheit, dass alle ihrer Meinung waren.
    Die Feststellung, die Frankfurter hätten nach den heftigen Luftangriffen vom 26. November und 20. Dezember 1943, vom 29. Januar und vom 8. Februar 1944, die riesige Teile der Stadt und bestürzend viele Menschenleben gefordert hatten, nichts wirklich Schlimmes mehr zu erwarten, traf Frau Gudrun am 18. März 1944. Sie lächelte, als sie dies sagte, das jüngste Mitglied der Hausgemeinschaft an, doch ausnahmsweise erwiderte der kleine Erwin Dietz ihr Lächeln nicht. Er war dabei, seine Abendmilch zu trinken – allerdings missgestimmt und unruhig, die Fäuste geballt und mit den Beinen strampelnd. Dem Kind behagte es nicht, dass die Milch wie Wasser schmeckte. Die Rationierung machte dies nötig. »Deutschlands Kühe sind feige Vaterlandsverräter und garstige Saboteure«, erklärte der Vater, wenn er mit seinem Einjährigen allein war und die beiden über den Kriegsverlauf diskutierten.
    Gründlicher als mit ihrer Prognose vom 18. März, dass es in Frankfurt »weiß Gott nicht schlimmer kommen kann«, hätte sich Frau Gudrun nicht täuschen können. An diesem Samstag warfen siebenhundert amerikanische Bomber und achthundert Flugzeuge der Engländer ihre tödliche Fracht über Frankfurt ab. Der gesamte Stadtkern wurde vernichtet. Die Schuttschneise dehnte sich von der Alten Brücke bis zur Konstablerwache. Der Hauptbahnhof und auch die Außenbezirke, das Heilig-Geist-Hospital, das Gaswerk Ost, die Fahrgasse mit ihren Nebengassen hatten schwerste Treffer abbekommen. Siebentausend Wohngebäude waren zerstört, über vierhundert Menschen tot und mehr als fünfzigtausend obdachlos. Überall standen verzweifelte Menschen. Alte, Kranke und Kleinkinder warteten auf Evakuierung. Durchhalteparolen waren nirgends mehr zu hören.
    Am Montag machte sich Hans Dietz im Morgengrauen auf, um zu sehen, ob die Stadt, in der er zur Schule gegangen war, in der er Bubenglück, die erste Liebe und die ersten Berufsjahre erlebt hatte, noch atmete. An der Mauer eines zerstörten Hauses in der Lange Straße klebte eine von einer Widerstandsgruppe angebrachte Drohung. »Es kommt der Tag« stand geschrieben, am Galgen baumelte ein Hakenkreuz.
    »Es dauert nicht mehr lange«, sagte Hans Dietz, als er nach Hause kam.
    »Psst«, warnte Anna. Sie schob ihm seinen Kaffeebecher zu und schenkte mit einem kleinen Seufzer den ungeliebten Muckefuck ein. »Bei uns haben die Wände neuerdings Ohren.«
    »Und Zungen«, flüsterte Fanny. Sie legte ihre Finger auf die Lippen.
    »Was«, fragte Sophie, »saut nicht mehr lange?«
    Sophie, sieben Wochen nach Fannys Rettung zur Welt gekommen, war nun drei Jahre alt, neugierig wie Frau Schmand und unermüdlich mitteilsam. Das muntere Kind war eine permanente Gefahr für Eltern, die viel von Deutschlands Niederlage sprachen und nie von einem deutschen Sieg. Sophie Dietz, die ihrem Puppenjungen ein Bein abgeschnitten hatte, weil »mein Papa auch nur ein Bein hat«, ängstigten weder die Bomben, die die Menschen in die Keller trieben, noch der Anblick von zerstörten Häusern. Sophie, im Krieg geboren und aufgewachsen, wachte nicht auf, wenn die Totenglocken für Deutschland läuteten. Die Bomben nannte sie Bären, doch weshalb ihr Teddy Bomba hieß und nur auf dem Fußboden schlafen durfte, wollte sie keinem erzählen.
    Der Sohn der Eheleute Dietz war nach Erwin Sternberg benannt worden, Annas geliebtem Halbbruder. Dessen Unerschrockenheit hatte Anna schon früh imponiert. Der Mut, ihr Leben für das von Fanny einzusetzen, war auch ein Ergebnis von Erwins Schulung; ohne sie zu schonen, hatte er ihr die Augen für das geöffnet, was in Deutschland mit den Juden geschah. Bei einer Hausdurchsuchung hätte seine Adresse in Palästina die Familie in Todesgefahr gebracht. »Lern sie auswendig, wenn ich sie dir schreibe«, hatte Erwin der Weitsichtige ihr beim Abschied empfohlen. Anna hatte sich daran gehalten. Sie übte täglich vor dem Schlafengehen.
    Als das Familiengefüge sich aufzulösen begann, war Fanny erst sechs Jahre alt gewesen, doch konnte sie sich gut an ihren Onkel Erwin, seine Zwillingsschwester Clara und deren Tochter

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