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Heimkehr in Die Rothschildallee

Heimkehr in Die Rothschildallee

Titel: Heimkehr in Die Rothschildallee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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hatte, hatten Hans und Anna das Kind zum Hausmeisterehepaar Schmand geführt. Sie erzählten, Fanny hätte bei einem Attentat in Prag beide Eltern verloren, hätte vier Wochen in einem Krankenhaus gelegen und wäre nun durch die Vermittlung einer Krankenschwester, mit der Hans entfernt verwandt sei, zu ihnen gekommen. Von der Schule sei die Kleine so lange zurückgestellt, bis sie ihren Schock überwunden habe.
    Hans und Anna, deren Mut, Opferbereitschaft und Liebe Fanny ihr Leben verdankte, trauten sich nicht, ein Kind, das ohne Identifikationspapiere war, polizeilich anzumelden. An Schule war gar nicht zu denken. »Je weniger man von Fanny sieht, umso sicherer sind wir alle«, sagte Hans.
    Den Gedanken, dass es auf lange Zeit im Hause Dietz keine Sicherheit mehr geben würde, sprach er nie aus. Staunend erlebten Hans und Anna jedoch, dass die Ruhe wieder in ihr Leben zurückkehrte. »Einer von uns scheint eine direkte Verbindung zum Himmel zu haben«, sagte Hans, und obwohl er seiner Lebtag kein Vertrauen zum Himmel gehabt hatte, meinte er, was er sagte.
    »Alle drei«, erwiderte Anna. »Mit einem einzigen Schutzengel kommen Leute wie wir nicht mehr aus.«
    Im Haus kam keiner der Mieter je auf das Prager Attentat zu sprechen. Tratschten die Nachbarn im Hausflur oder tauschten sie an der Hecke vom Vorgarten Vertraulichkeiten aus, waren sie sich einig, dass das schweigsame Kind, das die Familie Dietz aufgenommen hatte und das so »schäbig angezogen war, dass es selbst in Kriegszeiten einen Hund jammert«, immer ängstlich und verschüchtert wirkte und nach seinen furchtbaren Erlebnissen geschont werden sollte.
    In den langen Nächten im Luftschutzkeller rührte Fanny Alt und Jung, Mann und Frau. Das »Prager Wurm«, wie man sie nun nannte, wenn Anna und Hans nicht in Hörweite waren, kümmerte sich liebevoll wie eine Mutter um die kleinen Dietz-Kinder. Sie schaukelte sie in den Schlaf, sang ihnen vor und erzählte ihnen Geschichten, die sie nicht verstanden. Wenn der Keller bebte, der Lärm infernalisch war und die Angst alles Leben erstickte, blieb Fanny ruhig. Das Schlimmste, was ein Kind erleben kann, war ihr ja schon widerfahren. Bei Tag verließ sie nie die Wohnung. Wenn sie allein zu Hause war, hatte sie Befehl, nicht die Tür zu öffnen, und sie hielt sich an die Losung. »Wie bei den sieben Geißlein«, sagte sie immer.
    Zu ihrer Freude pflegte Anna meistens zu erwidern: »Du bist genau wie dein Onkel Erwin. Der hat sich auch nie den Mut nehmen lassen. Von niemandem. Bis zum Schluss. Ich hab ihn immer bewundert.« Allein Erwins Namen zu hören und dass es im fernen Palästina einen Onkel gab, der zu ihr gehörte und vielleicht auch an sie dachte, tat ihr gut.
    Blockwart Schmand und Frau Gudrun, die es für ihre vaterländische Pflicht hielten, Menschen zu bespitzeln und sie zu denunzieren, hatten nicht den Schimmer einer Ahnung, dass sie unter einem Dach mit einem jüdischen Kind wohnten, das die Ehefrau eines Kommunisten vor dem Tod errettet hatte. Allerdings war für die Schmands ein wohlerzogenes Waisenkind mit rötlich schimmernden Haaren und leuchtenden grünen Augen auch nicht das klassische Beispiel für die »Untermenschen«, die zum Wohl des deutschen Volks »ausgerottet« werden sollten. Ab und an geschah es gar, dass Frau Schmand im Luftschutzkeller der kleinen Sophie und auch Fanny ein halbes Schmalzbrot hinschob. In der Weihnachtszeit erwachte bei ihr der Kleinmädchenglaube zu neuem Leben, dass Gott die guten Taten belohnte. Am ersten Adventssonntag schenkte sie Anna jedes Jahr einen kleinen Kopf Weißkohl vom Bauernhof ihrer Schwester aus dem Odenwald.
    »Ich hätte ihr den verdammten Kohlkopf am liebsten an den Schädel geworfen«, fluchte Anna Jahr für Jahr im Schutz der eigenen vier Wände.
    »Stolz können wir uns erst nach dem Krieg leisten, meine Liebe.«
    »Ich kann mir das überhaupt nicht mehr vorstellen«, sagte Fanny, »wie es ist, stolz zu sein und keine Angst zu haben.«
    »Warte nur ab«, versprach Hans der Dreizehnjährigen, »dann haben die anderen die Angst und wir den Kohl. Das verspreche ich dir. Dann klettern wir auf die Dächer und singen die Internationale.«
    »Falls es dann noch irgendwo in dieser Stadt ein Dach gibt«, sagte Anna.
    »Aber ja, frag Frau Schmand. Die weiß Bescheid.«
    Frau Schmand schwor, dass auf ihren Instinkt und ihre Zukunftsprognosen Verlass war. Sobald sie bei Alarm im Luftschutzraum ihren Platz eingenommen, den Strickstrumpf herausgeholt und

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