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Heimkehr zu den Dakota

Heimkehr zu den Dakota

Titel: Heimkehr zu den Dakota Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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weitergegeben hatte. Diese Frau war gestorben. Sie hatte sterben wollen, sobald sie wußte, daß Harka gehen mußte und wollte. Aber der letzte Sinn ihres verstümmelten Lebens hatte sich erfüllt, und die Botschaft dieses zerstörten Lebens lebte weiter zusammen mit der Klage und Anklage des verratenen Häuptlings und des tapferen Stammes der Seminolen, der aus der Heimat vertrieben war, dessen tapferste Männer aber noch immer in der Zuflucht der Sümpfe kämpften.
    Als die Sonne des ersten Tages sank, grübelte der junge Dakota noch immer. Er spürte weder Hunger noch Durst, denn er war besessen von dem starken Willen, mit seinen Gedanken zu einer Entscheidung zu kommen. Der Abend brach herein. Die Sonne leuchtete jetzt vom Westen, und Harka sah ihre Strahlen nicht mehr; er spürte sie nur, und vor ihm lag sein eigener Schatten. Die vielfarbig matte Helle ging in Dunkelheit über. Die Sterne leuchteten auf, und der Mond begann seine Bahn zu wandern.
    Harka schaute in die Nacht. Seine Gedanken wühlten und arbeiteten. Immer wieder ordnete er sich alles, und immer wieder liefen seine Gedanken denselben Kreis.
    Der junge Indianer schlief die ganze Nacht nicht. Eine Nacht zu durchwachen und vierundzwanzig Stunden nichts zu essen und nichts zu trinken, war er längst gewohnt. Es fiel ihm nicht sonderlich schwer.
    Der zweite Tag stellte größere Anforderungen an seinen Körper und an seine Nerven. Die Schleimhäute trockneten ihm aus. Als es Mittag und sehr warm wurde, schmerzten ihn die Augen, die Rachenhaut war ausgedörrt, und die Zunge wollte am Gaumen ankleben, da sich kein Speichel mehr bilden konnte. Er hatte das Gefühl, daß sein Blut dick wurde. Das Herz begann sehr schnell zu schlagen, und die beginnende Fieberhitze beschleunigte das Austrocknen des ganzen Körpers. Es gab keinen Schatten ringsum und keinen Tropfen Tau. Am Abend schmerzte Harka der Kopf, und sein Körper sehnte die Kühle herbei. Die Nacht verbrachte er in einem Dämmerzustand zwischen Denken und Träumen. Noch immer war er nicht weitergekommen mit seinen Entscheidungen. Es gab eine Wand; einen Korral gab es, in dem er gefangen war. Wann und wo war er endgültig in diese Falle gegangen? Wie konnte er sich noch befreien? Er, der Kluge, der Kühne, der Überlegene, war unsichtbar gefangen, ohne Bast gefesselt, gehemmt, zermürbt von Täuschungen, Verleumdungen, vom Zwist mit dem Vater. Wie klar und ruhig lebte Stark wie ein Hirsch! Wie verwirrt war Harkas Leben. Er wurde sehr müde und kaute Tabak. Das trieb sein Herz und sein Blut wieder an. Vor den Augen gaukelten ihm Phantasiebilder von Quellen, Bächen und Strömen. Wasser, Wasser! Klarheit, Klarheit!
    Als es Morgen wurde und die Sonne warm zu scheinen begann, tanzten Harka Flecke vor den Augen. Augen, Hals und Kopf sehmerzten ihm heftig, und das Durstgefühl wurde zur Qual. In der Ferne hörte er den Fluß rauschen. Wasser! Aber das Wasser war so fern wie jede Lösung für sein Grübeln, und es war ihm verboten, hinzugehen und zu trinken. Seine Lippen waren aufgesprungen, seine Augen rot entzündet. Stur zwang er seine Gedanken auf den einen Punkt: Wie sollte er das Rechte tun? Wo sollte er leben? Wohin konnte er fliehen, ohne daß ihm das Bild des betrunkenen Vaters, des hohnlächelnden Jim, ohne daß ihm das Wort vom Sohne des Verräters folgte, ohne daß seine Hand das Dolchmesser führte, mit dem er den Bruder getötet hatte? Wohin? Er wußte es nicht.
    Wie sollte sein Schutzgeist zu ihm kommen oder ihm den Traum seines Namens schicken, wenn er mit seinen Gedanken nicht zu einem Ende kommen konnte? Es mochte sein, daß er ohne Namen, mit Schande bedeckt, zu den Zelten zurückwankte. Nein. So kehrte er nicht zurück. Ohne Namen kehrte er nicht zurück!
    Sein Körper fieberte immer heftiger. Seine überreizten Nerven vibrierten, vor den Augen verschwamm ihm alles, und Schmerzen peinigten ihn. Er war ausgetrocknet, abgemagert, geschwächt. Der Durst quälte ihn so, daß er den Hunger überhaupt nicht empfand. Er glaubte schon zu trinken, da wich die Labung wieder zurück. Seine Gedanken wurden zu Phantasien. Wild wechselten die Bilder, in denen sich das Gewesene verzerrte, das Gegenwärtige auflöste und in die das Künftige wirr und drohend hineinfloß.
    Es war ein heißer Tag. Die Sonne brannte, die Luft wirkte wie ein überhitztes Bad. Das Fieber, durch den Wassermangel im Körper hervorgerufen, verzehrte die letzte Feuchtigkeit. Die Schleimhäute vertrockneten. Harka vermochte nur

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