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Heimkehr zu den Dakota

Heimkehr zu den Dakota

Titel: Heimkehr zu den Dakota Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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hören. Die Sorge darum, daß ihm keine Raubtiere oder Feinde nahe kamen, war in diesen Tagen anderen überlassen, die über den künftigen Krieger zu wachen hatten, ihm fern und nicht sichtbar und doch für ihn da.
    Harka Steinhart Nachtauge blieb mit sich selbst und seinen Gedanken allein.
    Als er die grasbewachsene Anhöhe erreicht hatte, die er suchte, stieg er hinauf und ließ sich oben nieder. Weit sah er von hier über das Land. In der Ferne war das Rauschen eines Flusses zu hören, der seine Fluten durch eine Schlucht zwängte. Harka hatte sich mit dem Gesicht gegen Osten, gegen die Morgensonne, gesetzt, und sein eigener Schatten lag hinler ihm. Er schaute den grasigen Hang hinab und hinweg über Bodenwellen, Waldstreifen, Bachbetten bis hin zum fernen Horizont. Der Himmel strahlte im Sonnenflimmer. Harka hatte die Arme um die Knie geschlungen. Er begann nächzudenken und ließ sein eigenes Leben noch einmal an sich vorbeigleiten.
    Seine früheste Erinnerung war ein kalter Winter und ein vorbeigleitender Fluß mit einem Loch im Eise. Harka war im August geboren, und dieses Eis, an das er sich erinnerte, war das Eis des dritten Winters, den er erlebt hatte. Vor Morgengrauen war Tschetan, der damals Achtjährige, in Harkas väterliches Zelt gekommen, hatte Harka aus den warmen Decken gerissen, den wütend Strampelnden hinausgeschleppt und in das Eisloch im Bach getaucht. Harka erinnerte sich noch, daß ihm das Herz einen Augenblick gestockt und daß er sich, sobald er wieder atmen konnte, zum erstenmal in seinem Leben Rache geschworen hatte. In der Nacht darauf ließ er sich von seinem Vater vor Sonnenaufgang wecken, holte mit dessen Hilfe einen großen Eisbrocken vom Bach, schlich sich in Tschetans Zelt und legte das Eis auf die nackte Brust des Schlafenden, genau auf das Herz. Tschetan fuhr mit einem Schrei aus dem Schlaf, packte Harka und verprügelte ihn, so daß dem kleinen Jungen Hören und Sehen verging. Aber Harka schrie nicht, sondern machte sein trotzigstes Gesicht.
    Das war der merkwürdige Beginn der Freundschaft zwischen Tschetan und Harka gewesen. Tschetan war dann der Lehrmeister des Jungen in allen Fertigkeiten eines künftigen Jägers und Kriegers geworden, so daß der Vater den Sohn nur in wichtigen Fragen noch selbst zu unterrichten brauchte. Bei Untschida, der Geheimnisfrau, und bei Hawandschita, dem Zaubermann, hatte der Heranwachsende die Mythen und die Geschichte der Dakota erfahren. Er hatte die Zeichensprache und das Lesen der Bilderschrift erlernt, und im achten Sommer, als er schon gut reiten konnte und seine Pfeile sicher trafen, hatte ihn der Vater zum erstenmal auf die Jagd nach Kleinwild mitgenommen und ihn durch viele Fragen gelehrt, alles in der Natur genau zu beobachten und sich über jede Beobachtung auch Gedanken zu machen. Für die Knaben der Bärenbande gab es nur einen einzigen Beruf, den sie erlernen konnten, das war der des Jägers und Kriegers. Die Jagd war ihre Arbeit. Der Stamm war durch die weißen Männer aus den fruchtbaren und geschützten Waldgebieten hinausgedrängt worden auf die rauhe steppenartige Prärie des Hochlandes mit ihren Staub- und Schneestürmen. Nur zähe abgehärtete Menschen konnten sich hier behaupten. Es gab keinen anderen Nahrungserwerb als die gefährliche Büffeljagd, und es gab immer sich wiederholende Streitigkeiten mit anderen Stämmen, die auch auf der kargen Prärie leben mußten. Büffel jagen, das war für einen Teton-Dakota die regelmäßige Arbeit, so wie für den Bauern das Ackern. Harka wuchs mit dem Willen heran, ein tüchtiger Jäger und Krieger, später ein Kriegshäuptling zu werden, wie es der Vater war. Er war gesund, kräftig und besaß scharfe Sinne. Der Vater weckte seinen Ehrgeiz, und als Harka erst erfahren hatte, wie leicht es ihm fiel, die Altersgenossen in den meisten Übungen und Spielen zu übertreffen, begann es ihm undenkbar zu erscheinen, daß er einmal unterliegen sollte. Mit Behutsamkeit und Strenge hatte Mattotaupa seinen Sohn aber auch gelehrt, daß ein Knabe es verstehen müsse, in Wettspielen nicht nur ein überlegener Sieger, sondern auch ein beherrschter Verlierer zu sein. Harka hatte einmal sein Pferd geschlagen, als es das Rennen nicht mehr gewinnen konnte, und er hatte daraufhin dieses Pferd hergeben müssen. Nie hatte er das vergessen.
    Einmal, mit neun Jahren, war Harka so keck, ja verwegen gewesen, mit der Jungenschar im Walde heimlich Zauberkult zu spielen. Er selbst hatte dabei den Geheimnismann

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