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Heimkehr zu den Dakota

Heimkehr zu den Dakota

Titel: Heimkehr zu den Dakota Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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noch einen einzigen Gedanken zu fassen, der ihm bewußt war. Er wollte nicht nachgeben. Nie würde er mit Schande zurückkehren. Er wollte auch nicht sterben und verrecken wie ein Kojot in der Prärie.
    Er wollte, wollte …, er wollte noch immer. Das war das einzige, was ihm blieb, daß sein Wille noch da war. Die Fieberbilder umtanzten ihn immer wilder und farbiger. Wasser! Wasser! Klarheit! Klarheit!
    Plötzlich erinnerte er sich an eine kleine zackige fremdartige Muschel, die ihm sein gleichaltriger Gefährte Schwarzhaut Kraushaar im Heimatdorf am Pferdebach einmal geschenkt hatte, als Harka elf Jahre alt war. Harka hatte sie auf seiner Flucht zum Vater mitgenommen, er wußte selbst nicht warum. Sie war so seltsam, so hart, so scharf, und wenn er sie ans Ohr hielt, sang es ganz leise darin vom großen Wasser. Diese Muschel trug er auch jetzt bei sich. Er tastete danach wie im Traum, er fand sie und nahm sie zwischen die Finger. Die hornartig geformten kleinen Zacken stachen ihn in die Fingerspitzen, mit denen er sie betastete.
    In der völligen Verlassenheit und Verwirrung begannen seine Fieberträume um die Muschel zu kreisen. Sie tanzte wie ein Gespenst in seinem Wahn. Riesig sah er sie vor sich; das Singen war wie das Rauschen in der Höhle der Großen Bärin. Die winzigen scharfen Stacheln wurden zu gewaltigen Hörnern, und die Muschel war groß wie ein Steinblock.
    Der Fels hatte Hörner, Hörner wie ein Büffel, der in den Kampf ging. Das Bild verfolgte Harka, und er sah sich selbst hart und groß wie ein Stein, und er trug den Schmuck der Büffelhörner, wie ihn nur die ausgezeichneten Häuptlinge tragen durften.
    So sah er sich.
    Die Sonne sank zur letzten Nacht, die er in der Einsamkeit verbringen mußte. Seine Augen glühten, selbst in der Kühle und Dunkelheit, sein Gaumen brannte, sein Herz schlug heftig und unregelmäßig, und das Rauschen des Flusses, dessen Wasser er nicht trinken durfte, wollte ihn rasend machen. Er konnte weder wachen noch schlafen, und während ihn die Verzweiflung immer wieder anpackte und ihn überwältigen wollte, weil er mit seinen Gedanken nicht zu Ende gekommen war, rief er sich in einem letzten Angsttraum selbst immer wieder zu: Stein mit Hörnern, Stein mit Hörnern …
    Auch diese Nacht ging einmal vorüber.
    Als es tagte, erhob sich Harka. Er wankte vor Entkräftung, aber mit erbitterter Anstrengung hielt er sich auf den Füßen und ging über die Wiesen heimwärts zu den Zelten, mit wehen Augen, fast bewußtlos vor Durstqualen.
    Er vermochte noch den kleinen Wald und die runden Zelte zu erkennen, obgleich er selbst nicht mehr wußte wie, und mit einem letzten Aufbäumen aller Kräfte fand er das Zauberzelt unter den anderen heraus. Er schlüpfte hinein, beim Bücken wurde ihm schwindlig, und er stürzte im Innern des Zeltes auf den Boden.
    »Wer bist du?« schrie eine Stimme, und Harka antwortete heiser, kaum mehr fähig, einen menschlichen Laut aus der vertrockneten Kehle zu bringen: »Stein mit Hörnern.«
    »Bist du ein Dakota?«
    Harka antwortete nicht.
    »Bist du ein Schwarzfuß?«
    Harka antwortete nicht.
    Er hatte die Frage noch begriffen, aber er vermochte nicht darauf zu antworten. Er war ein Mensch. Das wußte er, aber danach hatte ihn niemand gefragt. Die kleine Muschel hielt er fest in der Hand. Als der Zauberer ihn berührte, öffnete er die Finger und gab die Muschel her.
    Er verlor nicht ganz das Bewußtsein; er vermochte noch immer etwas zu fühlen und etwas zu hören. So nahm er wahr, daß der Zaubermann vor dem Zelt laut rief. Der Geheimnismann mußte also hinausgegangen sein. Bald darauf kamen Menschen, die Harka aufheben wollten. Aber dagegen wehrte er sich, und mit dem von frühauf anerzogenen Instinkt, sich nicht anfassen zu lassen, stieß er die Hände zurück. Als ob er unter Feinden sei, suchte er sich selbst zu erheben. Er kam auf die Knie, dann auf die Füße, wies jede Hilfe zurück und ging wankend, wie er gekommen war, wieder aus dem Zelt hinaus. Einen Augenblick stockte er, aber dann ging er weiter zu dem Häuptlingszelt, das sich neben dem Zauberzelt befand. Er kroch durch den Zeltschlitz hinein und fand sein Lager.
    Als er auf die Decken gefallen war, netzte das erste Wasser seine Lippen, und die Gier des Körpers zu trinken trieb ihn hoch und öffnete ihm die Augen. Fr trank das Wasser, das die Frau des Häuptlings ihm reichte. Dann sank er wieder zurück. Seine Hände waren heiß, und seine Pulse jagten.
    Von diesem Augenblick an, in

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