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Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)

Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)

Titel: Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angelika Meier
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Sommernächte, die wir draußen im hohen, sogar nachts silbern leuchtenden Federgras an den Felsenhängen südlich der alten Festungsmauern der Höhlenstadt Tschufut-Kale verbracht haben, die letzten Nächte vor meiner endgültigen Übereinkunft mit Referenten, doch nach Kertsch zu gehen, die Stelle in der Grenzpflege anzunehmen, alles anzunehmen, still lärmende Nächte, in denen du friedlich in meinem Schoß gelegen und dich einmal wahnsinnig erschrocken hast, weil eine Leopardnatter dir im Schlaf über den Knöchel gekrochen ist. Und obwohl du sofort eingesehen hast, dass sie vollkommen harmlos war, konntest du dich die ganze Nacht nicht mehr beruhigen.
    Fast den ganzen August hindurch, unseren zweiten August fern von der Küste, liefen wir abends von unserer Station im Khanspalastsanatorium in Bachtschissaraj hier hoch aufs Gebirgsplateau der Höhlenstadt. In stillschweigender Übereinkunft verloren wir kein Wort darüber, dass wir es in der Enge unserer Zelle nachts miteinander einfach nicht mehr aushielten, vor allem sprachen wir nicht mehr über meine Hoffnung, dass mit jeder Nacht, die ich ihm fernbliebe, mein Referent schwächer werden würde, eine Reihe von aufeinanderfolgenden Nächten musste ich es schaffen, ihm zu entsagen, nur das muss ich schaffen, eine Reihe von Nächten am Stück, und er wird unter meinem Entzug in die Knie gehen, glaub mir! Schon allein deshalb sprachen wir nicht mehr darüber, weil ich fürchtete, und wohl zu Recht, aber wie soll ich das jetzt noch wissen, dass du eine solche Hoffnung schon lange nicht mehr teiltest, für eine Ausflucht hieltest, da Vermeiden nun mal nicht Entsagen ist, und dass du vielmehr von mir verlangen könntest, mich ihm wieder und wieder vor dem Spiegel zu stellen und ihn so zu besiegen, meinem Angesicht gegenüber, damit ich sähe, wie hässlich ich sei, wie verkrüppelt und schmutzig, voll Sudel und Geschwür. Und ich sah es und schauderte, und es war nicht, wohin ich hätte vor mir fliehen können. Und wenn ich versuchte, den Anblick von mir abzuschlagen: Du stelltest mich abermal gegen mich und drängtest mich meinen Augen auf, damit ich meine Schuld erkennen und hassen sollte . Aber eigentlich weiß ich und wusste wohl auch schon damals, dass du etwas so zerstörerisch Naives oder vielleicht auch gar nicht Naives, sondern einzig Mögliches niemals von mir verlangt haben würdest. Doch über all das sprachen wir nicht, sondern taten, als schliefen wir einfach aus hoffnungslos romantischer Neigung da draußen in hoher, freier Luft, den Sternen so nah wie möglich, und nicht, um unserer auch im Halbinnern der Halbinsel hoffnungslosen Lage zu entfliehen. Aber weil wir so taten und es gut machten, war es auch tatsächlich so.

44.
    Spätabends, wenn die letzten Tagespatienten zurück in ihre Busse nach Jalta, Simferopol oder Sewastopol gestiegen waren und Esther ihre tägliche Praxis im Wirtschaftshof des Khanspalastsanatoriums zusammen mit den anderen Heilstudenten mit drei gemeinsamen om abgeschlossen hatte, holte sie mich aus der Versenkung. Dann schlichen wir uns, statt uns in unserer Zelle im Hauptgebäude schlafen zu legen, durch das Tor der Gesandten hinaus.
    Die einheimischen Hausfrauen in ihren bunten Kittelkleidern, die an kleinen Tischständen vor dem Palastsanatorium ihre fettkringelnden und zuckerstarrenden Baklava an die Tagespatienten verkauften, hatten schon längst zusammengepackt, aber wann immer noch eine Nachzüglerin da war, kauftest du ihr etwas von dem nach billigstem Öl stinkenden Zeug ab, das dann wie die Arme eines im Fett erstickten Kraken aus der gelblichen Papiertüte hing. Immer wieder versuchtest du diesen Dreck zu essen und warfst ihn schließlich, noch bevor wir die paar Gassen der Altstadt hinter uns gelassen hatten und uns auf den Weg hinauf zur Schlucht der Heiligen Maria machten, in den Müll, worüber ich jedes Mal in milde herablassendem Tadel den Kopf schüttelte, weil ich nicht verstanden hatte, dass es ein zwar lächerlicher, aber eben doch ein Versuch war, sich mit diesem Dreck von der Reinlichkeit unseres klinischen Lebens reinzuwaschen.
    Aber dann war das Zeug im Müll und vergessen, und mit ihm deine Verstimmung über deine Unfähigkeit, es zu essen, und überhaupt über deine mittlerweile arg eingeschränkte Fähigkeit, irgendetwas noch mühelos zu essen, und heiter atemlos rannten wir hinauf zum Uspenskij Monastyr, Mariä-Entschlafenskloster, wo bis spät in die Nacht Patienten sich das Heilwasser, das direkt

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