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Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)

Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)

Titel: Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angelika Meier
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klopfe und streichle ihr kleines Köpfchen. »Ja, ja, ja, du kleine Verbrecherin, hm, du kleine … du tust doch niemandem was, hm? Nutzt zwar auch niemandem was, noch nicht mal ein Paar hübsche Schühchen kann man aus dir machen, hm, dafür schadest du aber auch niemandem …«
    Evelyn streckt zaudernd eine Hand nach der Natter aus, fährt aber angeekelt wieder zurück, bevor er die glatte Haut tatsächlich berührt hat, doch schon die Geste hat beruhigende Wirkung. Der Professor dagegen sinkt zu Boden:
    »Sie hat mich gebissen … Oh Gott! Wenn du schon kommen musst, komm schnell, süßer Tod!«
    »Ach Unsinn, stehen Sie sofort auf, Professor!« Ich rupfe mir die verdutzte Natter vom Arm und werfe sie weit weg. »Es ist gefährlich, da zu liegen, kommen Sie schon – hilf mir, Evelyn – und hoch!«
    Der Schlangenschock hat uns ein wenig gekräftigt, und unsere Beineselchen tragen jetzt wieder braver ihre Last. Gleichgültig schleppen sie uns weiter, und es ist unklar, ob es für sie eine Erleichterung oder eher eine zusätzliche Erschwernis ist, dass sich der allzu nachgiebige Sandboden jetzt allmählich verfestigt. Immer größere Steine werden uns in den Weg gelegt, bis der Sand nur noch als Staubgeist über eine schier unendlich scheinende Wüste von Steinplatten weht, deren tiefe Riffelfurchen uns weismachen wollen, dass es hier irgendwann auch einmal Wasser gegeben hat. Derweil steigt die Sonne mühelos zum Horizont hinab, zur Begrüßung genehmigen sich die beiden ihren ersten Cocktail. Uns aber lassen sie, wie viele Meilen wir auch heute zurückgelegt haben mögen, nicht einen Schritt näher kommen.
    Schweigend schreiten wir in die über uns hereinbrechende oder eher sich in uns hineinschleichende Nacht, und jeder Schritt nach vorn scheint sich ekelhaft nach innen zu stülpen. Um uns und einander in der Schwärze nicht zu verlieren, halten wir uns jetzt wieder an den Händen. Evelyn geht ganz gefügig neben mir her, aber an seinem nachlassenden Händedruck spüre ich, dass er das Ende, jedes Ende, egal welches, gefährlich herbeisehnt, und jetzt fängt er auch noch heiter zu summen an. Was soll ich nur … wie soll ich ihn nur weiter … Zum Glück erhebt der Professor eine seiner vernünftigen Stimmen:
    »Kompaniiie, halt! Im Dunkeln tappen ist Wahnsinn, da kenn ich mich aus, da macht mir keiner was vor, über das Dunkle im Dunkeln. Wir müssen den Morgen abwarten, ihn abpassen, den alten Luchs. Und außerdem schinden wir den Jungen zu Tode, wenn wir ihn jetzt nicht schlafen lassen.«
    »Aber er kann doch nur noch als Gespenst seiner selbst weiter. Wenn ich ihn jetzt hinlege, steht er nicht mehr …«
    »Setzen Sie ihn gefälligst hin, Doktor, oder muss ich Ihnen erst eine reinhaun?«
    Vorsichtig gehen wir gemeinsam zu Boden, wieder halten wir Evelyn zwischen uns, und weil uns der Korb mit der Decke irgendwo unterwegs abhandengekommen ist, kann ich den zähneklappernden Jungen nur in mein Sakko einwickeln, nehme ihm das Tuch vom Kopf, um ihm wenigstens mit den Händen die kalt schweißverklebten Haare trockenzurubbeln, sonst kann ich ja nichts … was soll ich nur … Plötzlich gibt Evelyn schwache Schmatzgeräusche von sich, ein hilfloses Phantomsaugen oder Saugen an einem Phantom. Nein, mit ungläubigem Erstaunen begreife ich, dass der Professor ihm in göttlicher, nein, weitaus größerer, in halbgöttlicher Gnade seine letzte Flaschenration überlassen hat. Mit dem Opiumrhabarber strömt immerhin so viel Leben in Evelyn zurück, dass er sich aus eigener Kraft erschöpft auf meinen Schoß legen kann. Dankbar seufzend wage ich, für einen Moment die Schultern fallen zu lassen, und auch der Professor neben mir seufzt:
    »Ach ja, wenn der feine Herr Doktor Obermaus nicht geglaubt hätte, sich auf einmal daran erinnern zu müssen, dass er einen Sohn hat, könnten wir alle drei jetzt gemütlich da oben beim Abendessen sitzen. Ich könnte mich schön mit meinem lieben Freund Zimmermann unterhalten, Evelyn könnte sich die neuesten Eiweißauswüchse von Hugo Rapin vorführen lassen, und dann könnten wir alle gemeinsam der Musik lauschen und dabei träumerisch ins Tal hinabblicken!«
    »Verzeihen Sie, Professor, aber ich bin nicht übermäßig in Stimmung für Ihre …«
    »Gott, sind Sie so dämlich oder tun Sie nur so? Ich sagte, wir könnten da oben sitzen und ins Tal hinabblicken – na?«
    »J-ja, und?«
    »Versuchen Sie mal nachzudenken, altes Aas, besser spät als nie, obwohl ich ja eigentlich immer

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