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Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)

Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)

Titel: Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angelika Meier
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Ihnen nicht das Recht, über Leben und Tod dieses Abhängigen zu verfügen. Sie wissen, dass er als bloßer Referent nicht satisfaktionsfähig ist. Sie hätten ihn nicht herausfordern, geschweige denn, ihn einfach abstechen dürfen, noch dazu mit klinikeigenem Besteck. Streng genommen wäre das hier also eine Sache für die Strafverfolgung, und formal gesehen muss ich Sie deshalb auch erst einmal unter Arrest nehmen. Also seien Sie etwas kooperativer, sind doch sonst nicht auf den Kopf gefallen.«
    »Kopf … Kopf oder Zahl …«
    »Also, wir – hören Sie mich? – wir werden Sie jetzt operieren, wird eine Weile dauern, ist ja nicht gerade eine Routineangelegenheit, dann lassen wir Sie ausfliegen, an die Klinik, von der ich Ihnen damals in Jalta erzählt habe, und dann werden die Leute vor Ort mit Ihnen gemeinsam entscheiden, ob Sie als Arzt aufgenommen werden können oder doch eher als Patient. In jedem Fall können Sie sich dort nützlich machen. Haben Sie mich verstanden?«
    »Ja … ja, natürlich … nützlich … natürlich …«
    »Gut, mein Junge – unter uns, seien Sie froh, dass Sie von hier wegkommen, nur noch eine Frage der Zeit, bis hier alles in die Luft fliegt. Also, alles Gute, Adjüs, von Stern!«
    Danach bin ich angeblich ohnmächtig geworden, aber ich erinnere mich ganz deutlich daran, wie sie mich aus der Wohnung getragen haben und ich mich, als sie die Trage rübergerollt haben zum Krankenwagen, darüber gewundert habe, dass außer dem Hausmeister, der schon das Unkraut zwischen den Verbundsteinen ausharkte und mich mit seinem üblichen stummen Morgennicken grüßte, niemand auf dem Bürgersteig zu sehen war, kein einziger Schaulustiger, obwohl es mittlerweile hell geworden war.
    Die nächsten vier Wochen sind im Äthernebel verschwunden, und kaum war Referent wieder einigermaßen bei Bewusstsein, sah ich die Krim nur noch als grünbraunen Fleck weit unter mir in den Nebelschwaden verschwinden, dann flogen wir übers Meer und ich schaute nicht mehr hinaus. Wollte nach vorn sehen, nur nach vorn, schon um die Übelkeit in den Griff zu bekommen, sah aber aus Schwäche stattdessen an mir herab und fragte mich verdutzt, warum man mir wohl einen Tennisanzug angezogen hatte. Nach einer Weile verstand ich. Da ja noch unklar war, ob ich nun Arzt oder Patient werden würde, hatte man mich behelfsweise in die einzige weiße Uniform gesteckt, in der ich für beides präpariert war. Ich musste lachen, aber der Schmerz in der Brust machte dem Spaß schnell ein Ende.
    Dann wurde wieder alles neblig, auch an den Flughafen erinnere ich mich nur verschwommen, nein kein Flughafen, nur ein Rollfeld, nirgendwo eine Abzäunung, wie in der Wüste, aber für die Wüste zu schwül, an das graublaue Taxi. Die Fahrt selbst ist dann wieder schwarz. Doch sobald ich vor der Klinik ankam, wurde es plötzlich ganz hell. Und auch die folgenden fast zwanzig Jahre sind keineswegs im Nebel verschwunden, sondern klar umrissen, hell wie der immergleiche eine Tag, vom ersten Tag bis zum letzten, bis heute, bis zu dieser Nacht hier oben auf der leblosen Wiese unter dem gläsern klaren Sternenhimmel, wo mein Sohn friedlich in meinem Schoß schläft und von Delphinen und seiner Mutter träumt, träumt, dass der Delphin am Sternenhimmel, dieses abstrakte Sechssterne-Bild, seine Mutter ist, niemand sonst – träumt und glaubt, ich könnte ihn retten.
    »Weinst du etwa, Papa?«
    »Nein, natürlich nicht. Wieso schläfst du denn nicht, Evelyn?«
    »Weil der Professor so laut schnarcht. Kannst du nicht was dagegen tun?«
    »Tja …«
    »Ja, tun Sie doch was dagegen, alte Ficksau! Mich macht das Gerassel selbst ganz wahnsinnig. Ach, stehen wir auf, lassen wir das doch mit der albernen Schlaferei und gehen weiter!«
    »Ja, vielleicht haben Sie recht, Professor, es müsste ohnehin bald hell werden, und es wäre besser, wir wären dann schon etwas weiter unten. Glaubst du, du kannst schon wieder gehen, Evelyn?«
    Zur Antwort steht er einfach auf, und wortlos folgen wir ihm.

49.
    Wir spüren alle drei, dass jetzt der härteste Teil kommt. Die Euphorie und die Angst, die sich seit unserem Ausbruch pausenlos die Hände geschüttelt haben, Gratuliere, Kollegin! , haben sich beide aus dem Staub gemacht, sind müden Gliedern gewichen. Und trotzdem muss man weitergehen. Die Wiese dehnt sich erwartungsgemäß immer weiter in die Mühen der Ebene aus, und heimlich wünscht man sich fast den gefährlichen Abstieg zurück anstelle dieser perfide

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