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Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)

Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)

Titel: Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angelika Meier
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herab und weiß nicht, was ich, also schon was ich, also dass ich es getan habe, aber nicht, wie ich es getan habe, schaue mir verwundert all das Blut an, drehe meine Linke hin und her, die ist auch voller Blut, und in stumpfem Reinlichkeitsreflex wische ich sie mir schlaff an der Hose ab, an meinem aufgestützten Knie, da fährt mich jemand mit einer tiefen Stimme an:
    »Halt, nichts anfassen und auch nichts abwischen!«
    Schwindelnd schaue ich an dem vor mir stehenden Mann hoch, bis ich über seinem weißen Kittel verschwommen ein Gesicht sehe, es schaut nüchtern zu mir herab, während es höflich in sein Telefon hineinsagt:
    »Ja, entschuldigen Sie die nächtliche Störung, Herr Doktor, aber wir haben hier eine Situation.«
    Ich lasse den Kopf schwer wieder sinken, will mich am liebsten zu der leblosen Gestalt legen, einfach auf sie drauflegen und schlafen, aber das scheint mir irgendwie unpassend, solange der Mann da rumsteht, und so bleibe ich, über meinem Knie schwankend, neben der Leiche hocken. Wenigstens das Kinn kann man mal auf der Brust ablegen, wird man ja wohl noch …, aber dabei stelle ich fest, dass auch mein ganzer Oberkörper voller Blut ist und dass dieses Blut von irgendwo da drinnen aus mir heraussickert, aus diesem weißen wattigen Körper, da von unterm Herzen, oder nein, wohl eher aus dem Unterbauch. Hilfesuchend hebe ich dem Mann eine Hand entgegen, will irgendetwas sagen, ihn idiotischerweise nach der Uhrzeit fragen, aber mein Mund ist taub, und außerdem entsteht plötzlich im Rücken des Mannes Bewegung. Hässlicher Lärm, grelles Licht, Leute, viele Leute umringen mich, und nach einer Ewigkeit von wahrscheinlich drei Sekunden erkenne ich blinzelnd Dr. Kargs streng besorgtes Gesicht vor mir:
    »Na, mein Junge, ganz schöne Sauerei, die Sie hier veranstaltet haben, aber keine Angst, das kriegen wir schon wieder …«
    Mit dem Mittel- und dem Zeigefinger seiner Maulwurfshand fühlt er mir an der Halsschlagader den Puls, gleichzeitig sucht er mit seiner anderen Hand den der Leiche oder vielleicht eben doch nicht Leiche, schaut dabei mit gespitzten Lippen und langsam nickend hoch zur Zimmerdecke, und ich stammele:
    »Ist … ist er tot?«
    »Nein, nicht ganz, Gott sei Dank. Sie haben ihn anscheinend nur halb erwischt. Höchstwahrscheinlich genug von Ihnen beiden übrig, um Sie notdürftig zusammenflicken zu können, fifty-fifty, würde ich sagen, mehr kann ich Ihnen nicht geben. Aber schnell, wir haben keine Sekunde zu verlieren, so viel Blut wie Sie verlieren.«
    Mit beiden Händen gibt er in alle Richtungen Anweisungen wie ein Dirigent in der Mitte seines Orchesters, und auf seine gekrümmten Fingerzeige hin erhebt sich das weiße Personal, das bis dahin affenartig auf dem Boden gehockt und auf jeden Flecken und in jede Ecke weißen Talkumpuder gestreut hat. Geschwind schlängeln sich nun zwei Heiler mit einer Trage durch den engen Flur zu mir vor, reibungslos vorbei an zwei anderen, die in Gegenrichtung den, wie ich diffus beschämt erkenne, über und über blutverschmierten Spiegelschrank, dem unangenehmerweise die Türen fehlen, nach draußen schleppen. Während ich zusammen mit der anderen halben Leiche auf die Trage gehoben werde, beugt sich ein Heiler zu Dr. Karg herab, dreht ein blutiges Skalpell in einem durchsichtigen Plastikbeutel ein paarmal vor Kargs Nase hin und her und lässt sich dann einen Zettel auf einem Klemmbrett von ihm unterschreiben. Mühsam hebe ich den Kopf, versuche ihn nach hinten zum Schlafzimmer zu drehen, aber es gelingt mir nicht, stattdessen höre ich mich mit verhallter Stimme rufen:
    »Wo … wo ist meine Frau?«
    »Keine Sorge, wir kümmern uns um sie.«
    »Wo ist sie?«
    »Ruhig, ruhig, von Stern, Sie sind momentan wahrlich nicht in der Kondition, Fragen zu stellen.«
    »Aber ich … bitte … Herr Dr. Karg, darf ich sie wenigstens kurz … nur …«
    »Jetzt hören Sie mir mal gut zu, von Stern, dass Sie mir den Ernst Ihrer Lage auch recht verstehen: Nur weil Ihr Referent ausschließlich und allein Ihnen unterstellt ist …«
    »Mir unterstellt!« Ich muss lachen und husten und kotze dabei einen Blutklumpen aus, den wegzuwischen mir nicht gelingt, weil mein Arm es nicht so weit hoch schafft.
    »Halten Sie den Mund, von Stern! Wenn Sie Ihre persönlichen Angelegenheiten nicht im Griff haben, ist das ausschließlich und allein Ihr Problem. Also noch einmal, für Ihr Hirn zum Mitschreiben: Dass Ihr Referent ausschließlich Ihnen verpflichtet ist, gibt

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