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Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)

Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)

Titel: Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angelika Meier
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einschläfernden Verflachung.
    »Pamplona, Pamplona …«
    »Ja, Professor, wo Sie recht haben, haben Sie recht.«
    »Pamplona, Pamplona …«
    »Ja, so ist gut, immer schön weiter.«
    »Pampampam …«
    »Mhm.«
    »Papa, glaubst du, das hier ist der nächste Zaun? Kann das sein?«
    »Hm … bisschen sehr niedrig, das ist ja kaum ein Schafsgatter, aber womöglich … müsste ja jetzt auch mal …«
    Ja, das lachhafte Gatterchen muss die Ankündigung der nächsten, der sechsten Etappe gewesen sein, denn hinter ihm geht es fast gar nicht mehr bergab, und die Wiese ist auf einmal, wie wir jetzt im Morgengrauen erkennen, viel kärglicher bewachsen. Zwischen den kränkelnden Grashalmen kommt sandiger Boden zum Vorschein. Aber scheinkräftig schreiten wir weiter voran, und schließlich trampeln wir ohne mit der Wimper zu zucken über ein Hamsterzäunchen hinweg auf die siebte Wiese, die man beim besten Durchhaltewillen nicht mehr Wiese nennen kann, denn nun sind in den Sand nur noch hier und da ein paar vertrocknete Grasbüschel hineingesetzt.
    Die Stunden fliegen dem Mittag entgegen und wir entschleunigen uns mehr und mehr. Mit unseren weißseidenen Einstecktüchern bedecken wir notdürftig unsere Köpfe, Evelyn fängt vor Durst an, komisch schluckweise zu atmen, wirft sein Sakko weg, was ich ihm aus Schwäche durchgehen lasse, der Professor schwankt in unserer Mitte und lallt irgendetwas vom Himmelbeobachten als Gnade und Fluch der Menschheit vor sich hin, doch immerhin erreichen wir, kurz nachdem die Sonne sich im Zenit aufgehängt hat, tatsächlich den achten Kreis, der, nicht gerade ermutigend, nur noch durch einen weißen, schon leicht verwehten Kalkstreifen angezeigt wird.
    Der Horizont liegt stur schnurgerade, unerreichbar weit vor uns, gerät nur jetzt in der Mittagsglut leicht ins Flirren. Es gibt kein Voran mehr, doch ein Zurück schon gar nicht, also schleppen wir uns unter der sengenden Sonne weiter durch den Sand, verbrennen uns die Fußsohlen, merken es dank unserer tauben Nerven aber kaum, und der Professor hinter mir murmelt träumerisch Sandwüste, nur von Ginster umstanden , obwohl weit und breit nicht nur kein Ginster zu sehen ist, sondern überhaupt kein Grün mehr, nur hier und da ein paar verdorrte Kräuter, die aber, wie ich verwundert, ja bezaubert schwindelnd feststelle, stark duften, fast wie Pinienhonig, und da ist auch ein Hauch von Salbei, der Salbei vor unserem Fenster in Kitschkene, der frische Trieb teilt sich gerade in zwei Blätter, noch bilden sie einen kaum geöffneten Kelch, eine pudergrüne Fassung, in der der Tautropfen in der Morgensonne wie ein Diamant funkelt, ich will die Augen schließen, um diesem Duft nachzugehen, dann müsste ich doch ans Meer … ja, da vorn …, halt die Augen offen, offen, schwere Lider, schwerer Duft, schwerer, viel schwerer, so schwer wie die Beine … komische Dinger, Beine … Bei …
    »Du lebst und tust mir nichts!«
    Der herrische Ruf holt mich gerade noch zurück, und erschrocken fahre ich zum Professor herum. Plötzlich stolz aufgeschossen steht er da und richtet mit schräg ausgestrecktem Arm seinen Zeigefinger wie eine Pistole auf den Sand vor sich, der sich langsam auf ihn zuschlängelt. Evelyn stößt einen hohen Schrei aus, klammert sich an meinem Arm fest, und als ich sehe, wie lang das Viech ist, verschlägt es mir den Atem. Das Geschlängel verlangsamt sich, in lasziv ausgedehnten Kurven windet sich das sandbedeckte Band von links nach rechts, kommt nichtsdestotrotz weiter auf den Professor zu, der mittlerweile kalkweiß ist, doch seine Stimme wackelt kein bisschen, als er seine Bannformel wiederholt:
    »Du lebst und tust mir nichts!«
    »Ganz ruhig, Professor, sie tut Ihnen wirklich nichts!« Erst jetzt, wo es den Kopf gehoben hat, habe ich das liebe dumme Ding erkannt. »Es ist eine Äskulapnatter, Elaphe longissima , sie ist nicht giftig.«
    »Na, Sie haben ja gut lateinisch quatschen, elender Quacksalber!« Sein ganzer Körper zuckt von seinem schockartig eingezogenen Bauch aus zusammen, die Natter hat seinen Fuß erreicht. Sie dreht züngelnd ein Ründchen um seinen Knöchel, kriecht dann unter seiner Hose an seinem Bein hoch, und diszipliniert verwandelt sich der Professor in einen tadellosen Eiszapfen.
    »Ganz ruhig, nichts passiert!« Ich falle vor ihm auf die Knie, erwische gerade noch das Ende der Natter und ziehe sie aus seinem Hosenbein heraus. Heiter tollend umwindet sie meinen Arm vom Handgelenk bis zur Schulter, und ich

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