Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)
doch! Warum helfen Sie mir denn nicht, Sie elender Hurensohn! Satanssonde, verfluchte!«
»Ja, Herr Professor. Und hoch!«
Der Weg ins Bett ist immer der beschwerlichste. Wie ein Säufer hängt Patient an Referent, sodass seine Schlaftrunkenheit mich den ansteigenden Weg zurück nur torkelnd bewältigen lässt. Die kleinen Abendgesellschaften haben ihre Tische vorschriftsgemäß verlassen, nur eine notorisch nachzüglerische junge Patientin in einem weißen asiatischen Seidenkleid schlittert spielerisch ungeschickt, eine Hand in den Nacken ihres Arztes gelegt, der ihre Taille umfasst, über die stumpfen Terrassenbohlen in den gläsernen Bungalow der Klinik zurück. Sie kichern beide leise, bis der Arzt, mein werter Kollege Dr. Dänemark, an der großen Schiebetür angelangt, ihren Arm von seiner Schulter entfernt, mit strenger Miene das Ende des Unsinns anmahnt und die brav oder wohl eher spöttisch nickende junge Frau am Ellbogen gefasst ins Haus bringt, das jetzt in der wunderlich geräuscharm vor sich gehenden Besorgung der Nachtvorkehrungen hell erleuchtet wie ein Lichtquader in der fliederduftigen Dunkelheit schwebt.
2.
Stunden später, ich habe außer dem Professor zwei überaus fordernde Patientinnen versorgt, sitze ich auf einem der mitternächtlich verwaisten Flure endlich wieder vor meinem leeren Bildschirm, lausche geistesabwesend oder eher ablenkungssüchtig auf die gedämpften Nachtansagen, die über die zentrale Sprechanlage aus meinem Rechner rieseln, Dr. Holm in den Sprechsaal, bitte, Dr. Holm bitte in den Sprechsaal! Dr. Engelein, bitte zum GV, Dr. Engelein zum GV, bitte! , und versuche dabei, das eine richtige Wort zu finden, den richtigen Ton, und finde ihn natürlich nicht, weil ich ihn zu sehr und also eigentlich auch gar nicht suche. Ich weiß mir nicht mehr anders zu helfen, als, mag dies auch meine Eitelkeit kränken, auf die hausübliche Berichtseingangsformel zurückzugreifen, und mit einem resignierten Seufzen schreibe ich:
Ich erkläre hiermit, dass ich mir vollkommen im Klaren darüber bin, dass die medizinische Arbeit am Menschen, ähnlich wie die Architektur, eigentlich mehr eine Arbeit an einem selbst ist. Ich bitte Sie daher hiermit, in genauester Ansehung meiner Person darüber zu urteilen, inwieweit ich bisher dieser Arbeit habe gerecht werden können. Denn Ihnen allein bin ich offenbar, wie auch immer ich sein mag, Sie allein, als mein ärztliches Innerstes, vermögen mich zu lesen, und so unterbreite ich meinen Bericht Ihrem Angesicht zur Kenntnisnahme, schweigend und auch nicht schweigend: Es schweigt der Mund, es schreit das Herz.
»Jaja, die vorgegebenen Worte gehen einem leichter in die Tastatur als die eigenen, wie?«
Erschrocken zucke ich zusammen, ich habe Dr. Dänemark nicht kommen hören, er steht gebeugt hinter mir und schaut mit süffisantem Lächeln über meine Schulter auf den Bildschirm. Seine Wange ist so nah an meiner, dass ich sein überfeines Rasierwasser riechen kann, ich atme stockend ein, und er nickt ein paarmal schläfrig lächelnd, bevor er sich schwungvoll wieder aufrichtet und mir schulterklopfend, schon halb im Weitergehen zuruft:
»Sie machen das schon ganz richtig, von Stern, halten Sie sich an die Formalien, dann wird’s schon schiefgehen – hat bei mir jedenfalls funktioniert. Ich bin schließlich noch immer hier, wie’s aussieht.«
»Ja, danke für den Tipp – gute Schicht noch!«
»Ihnen auch, Kollege, Ihnen auch!«
Referent schaut Dänemark nach, wie dieser den endlosen Flur scheinbar selbstvergessen pfeifend hinabwandert, und Referent ist fast sicher, dass Dänemark weiß, dass Referent weiß, dass es gefährlicher Unsinn ist, zu glauben, man könne die Klinikleitung mit einem bloßen Formalbericht abspeisen. Leicht verärgert, aber im Grunde eher über meine Unsicherheit als über ihn, schüttele ich den Kopf und schreibe noch schnell den letzten Satz der Standardexposition: Sie vernehmen von mir Wahres nur, wenn Sie zuvor es mir gesagt haben , bevor ich mich zu meinem Kontrollgang aufmache.
Die Hände hinter dem übertrieben geraden Rücken gefaltet, gehe ich langsam den Flur auf und ab, drehe den Kopf rhythmisch nach links und rechts und löse so ein wenig die Nackenverspannung. In allen Zimmern ist Ruh, Patienten liegen friedlich schlafend in ihren schönen großen Betten auf dem champagnerfarbenen Seidenbatist, bis auf diejenigen, die Erlaubnis haben, die Laufkur auch nachts abzuhalten. Während ich wie immer mit geschärften
Weitere Kostenlose Bücher