Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)
wieder aufzieht.
»Da haben Sie’s ja ganz schön übertrieben gestern, alte Satanssonde!«
»Sie aber auch, Professor! Wie geht’s Ihnen heute? Wieder einigermaßen auf dem Dampfer?«
Statt einer Antwort lässt er seinen Blick wehmütig mit dem Wasser an mir hinunterfließen, bei meinen Füßen angekommen, klettern seine Augen langsam, wie gegen den Widerstand des herabfallenden Wassers wieder an mir hoch, bis sie sich zurück in mein Gesicht heben und er mich mit ungläubigem Erstaunen ansieht, als habe er für einen Moment vergessen, dass ich oder überhaupt irgendjemand Lebendiges zu diesem Körper gehören. Um seiner Erinnerung an dieses, an mein Leben nachzuhelfen oder eher um ihm aus einer möglichen Verlegenheit zu helfen, lächle ich ihn freundlich an, aber er braucht oder will meine Hilfe gar nicht, denn er erwidert mein Lächeln auf unangenehm mitleidige und ernste Weise.
»An Ihnen bricht sich nichts und Sie merken es noch nicht einmal mehr, so lange sind Sie schon zerbrochen, Doktor.«
»Ah ja, sehr schön, gut zu wissen.«
»Das Wasser aus dieser Dusche ist nicht nass, stört Sie das überhaupt nicht?«
»Nein. Seien Sie so gut«, ich stelle das Wasser ab und neige den Kopf abwechselnd nach links und rechts, um es aus den Ohren herauszubekommen, »geben Sie mir ein Handtuch, bitte!«
»Ich kann nun sehen, wie alles mit Ihnen gekommen ist, Ihr Bild hat Sie getäuscht, Ihr Reichtum hat Sie arm gemacht und …«
»Würden Sie mich kurz rauslassen, mal kurz zur Seite treten, Professor – danke!«
»Nichts bricht sich an Ihnen, Sie haben alles Licht gierig in sich selbst hineingetrunken und sind dabei verdurstet, schlimmer als destilliertes Wasser zu saufen, Sie dummer Junge!«
»Kommen Sie, Professor, wir wollen uns beide schnell rasieren, kommen Sie, zusammen geht es leichter.«
Geschwind seife ich erst ihn ein und dann mich, und noch immer visioniert er unschön durch mich hindurch, während wir nackt nebeneinander vor dem Waschbecken stehen und ich mit dem Handtuch quietschend einen kreisförmigen Ausguck in den beschlagenen Spiegel male. Nichts ist jetzt mehr zu hören als unser flacher Atem und das Schaben der Klinge.
»Auch ordentlich gegen den Strich, bitte!«
»Natürlich, mach ich doch, Professor, so … gut so?«
»Da haben Sie was vergessen, da, da …!«
»Jaja, ich seh schon …«
»Nichts sehen Sie, nichts! Das ganze Licht weggesoffen, Sie Blindschleiche, und dann war es das: und hob sich auf und konnte nicht mehr sein .«
Referent kann Patient kurz zum Schweigen bringen, indem er ihm eiskaltes Wasser ins Gesicht schlägt und ihm dann eins der lavendelparfümierten kleinen Handtücher über den Mund legt. Rasiert sich dann endlich selbst – überaus angenehm, wie man sich dabei im Spiegel hochkonzentriert übersieht! Versucht Patient, der das Tuch zwar nun brav mit beiden Händen selbst festhält und genüsslich daran schnüffelt, Referenten dabei aber wie über einen Schleier hinweg weiter fixiert, so wenig wie möglich zu beachten. Doch plötzlich schleudert Patient das Tuch weg, drängt sich zwischen mich und das Waschbecken, klopft mir spechtartig mit dem Zeigefinger gegen die Brust und flüstert scharf:
»Du musst guten Mutes auf deine Auflösung oder Übersiedlung warten. Alles aber, was im Bereich des elenden Fleisches und Atems ist, das ist – das vergiss nie – weder dein Eigen noch in deiner Macht.«
»Na na, Professor, lassen Sie doch die alten Sprüche, Sie wissen nur zu gut, dass wir das hier etwas anders sehen, nicht wahr?«
»Mag sein, aber ich bin voller Zeremonien, Herr Doktor. Zwölf mal zwölf Krüge Wasser jeden Morgen, und es hilft alles nichts! Aber merken Sie sich eins, Doktor, eine Blindschleiche ist nicht blind, sondern sehenden Auges blind, was eine weit schlimmere Sünde ist als sich selbst zu strangulieren!«
»Ist gut, aber jetzt wollen wir schnell noch das Bruchband … und dann …«
»Das mach ich heute selbst, ziehen Sie sich erst mal was an, mein Junge, Sie werden sich noch erkälten.«
Patient hüpft auf Wickeltisch und beginnt, sich mit großem Geschick das Bruchband selbst anzulegen. Bevor ich auch nur den Mund wieder schließen kann, erscheint Schwester Ariane im Bad und flötet:
»Nanu, Professorchen, was machen Sie denn für Sachen, hm? Ach, Sie sind ja auch noch da, Dr. von Stern«, sie schaut affektiert angeödet einmal an mir rauf und wieder runter. »Ich hab Sie gar nicht gesehen!«
»Natürlich nicht.«
»Ariane,
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