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Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)

Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)

Titel: Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angelika Meier
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in fahrlässiger Entspannung auf denselben Stuhl sinken, nein nicht auf denselben, sondern auf den, der damals an seiner Stelle stand, an der Stelle, wo ich vor fast zwanzig Jahren schon einmal gesessen habe, eine halbe Stunde lang nur, aber buchstäblich wie auf Kohlen oder eher buchstäblich auf dem Wort Vorhölle , buchstäblich auf dem äußersten Rand des Stuhls, und dann hatte man sich doch dafür entschieden, mich als Arzt aufzunehmen, aber es war sicher die unangenehmste halbe Stunde, die ich hier je hatte, mal abgesehen von den auch nicht eben angenehmen letzten vierundzwanzig Stunden.
    Dr. Dänemark faltet die Hände seelenkrämerisch auf dem Schreibtisch und lächelt mir verschlafen sanftmütig zu, aber dann verliert sein Gesicht plötzlich all seine bereitschaftsdienstliche Verwaschenheit, wird klar und gestrafft wie nach einem inneren Eisbad, und nun beugt er mir den Oberkörper über den Tisch entgegen, greift nach meinen Händen und drückt sie fest, während seine adstringierte Stimme langsam und eindringlich zu mir spricht:
    »Die Patientin leidet unter Paradefiziten und mangelnder Gesundheitseinsicht, haben Sie mich verstanden, Kollege?«
    »Natürlich.«
    »Sie müssen jetzt an Ihren Eigenbericht denken und ansonsten alles lassen, wie es ist, ja?«
    »Natürlich.«
    Endlich lässt er meine Hände wieder los und lächelt sein übliches sonniges Dänemarklächeln, auch er hat schließlich an die Kamera zu denken, und ich nehme dieses Lächeln als Gesprächsabschluss und will schon aufstehen, aber durch sein Lächeln hindurch spricht er weiter in diesem Ton jenseits des Protokolls:
    »Lassen Sie sich da nicht in was reinziehen, von Stern, ich sag das nicht aus Freundlichkeit, sondern aus reinem Egoismus. Wenn einer von uns einknickt, ist die ganze Reihe gefährdet – wissen Sie noch, damals, als Holm beim Bekenntnisappell umgekippt ist?«
    »Na sicher, wir haben schließlich vier Stunden in der sengenden Hitze …«
    »Eben.«
    »Ich wär auch beinahe …«
    »Sag ich doch! Wir wären dadurch alle beinahe umgefallen, aber wir haben schön weiter geradeaus geguckt, als Holm diskret vom Platz entfernt wurde. Seine Haltungslosigkeit hätte uns allen jeden Moment …«
    »Entschuldigen Sie, verehrter Kollege, aber ich habe Patienten, die auf mich warten und deshalb werde ich mal …«
    »Hm, Sie meinen, die warten auf uns, ja?«
    Er versucht sich in einem Zwinkern, das in seinem früheren Leben vielleicht einmal eine ironische Liebe zum Wissen um die eigene Fatalität zum Ausdruck bringen konnte, heute aber nur noch mechanisch und leicht besoffen wirkt. Da meine Miene versteinert bleibt, zuckt er gereizt die Schultern, fährt dann aber wieder nüchterner fort:
    »Was verbindet Sie mit dieser Ambulanten?«
    »Nichts, ich kenne sie ja gar nicht.«
    »Na jetzt hören Sie aber auf, von Stern!« Er lacht, als hätte ich einen Scherz zu viel gemacht. »Im Ernst, sind Sie schwer befallen von dieser Ambulanten?«
    Mit dem Hinterkopf gebe ich ihm einen kleinen Wink in Richtung Kamera in der Zimmerecke links hinter mir, ziehe verärgert eine Augenbraue hoch, aber er zuckt nur angeberisch die Achseln:
    »Ist mir vollkommen egal.«
    »Ja, aber mir nicht!«
    »Glauben Sie mir, von Stern, das hier interessiert gerade niemanden außer uns beiden.«
    Kaum hat er den Satz beendet, versteht er, was er da gesagt hat, presst erstaunt die Hand auf den Mund und fängt prustend und kopfschüttelnd an zu lachen, und ich kann nicht anders als halb anerkennend, halb missbilligend auch zu lachen. Dänemarks Lachen seufzt sich aus und sein Kopfschütteln pendelt langsam aus, eine doppelte Bewegung ins Aus, die unweigerlich nach Nachdenklichkeit verlangt, und so murmelt er:
    »Wenn man mal so seinen Phrasen bis zum Ende nachgeht … mein Gott!«
    »Hm.«
    »Also schön«, er strafft sich, fummelt geschäftig an dem Rechner auf dem Schreibtisch herum und sieht mich nicht an, während er fragt: »Diese Ambulante, wie schwer ist es – ist sie in Ihrem System?«
    Ich spiele kurz mit dem Gedanken, zu lügen, aber seltsamerweise, wahrscheinlich, weil anscheinend auch der Stortex unter dem Schläfenlappen nicht ausreichend feuert, kommt es treuherzig aus mir heraus:
    »Ja, das ist sie, ja … ich hab sie in meinem System.«
    »Ach du Schande – ich wusste es! Ach Gott ja, das ist der Fluch der zweiten Geburt! Meinen Sie, das ist damals beim Kopieren passiert, als Sie herkamen?«
    »Nein nein, keineswegs, sie ist tatsächlich da drin,

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