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Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)

Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)

Titel: Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angelika Meier
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weil sie eben tatsächlich, wie soll ich sagen …«
    »Sie meinen, sie stammt tatsächlich aus Ihrem früheren Leben?«
    »Ja genau. Sie ist tatsächlich meine Vergangenheit, wir waren tatsächlich …«
    »Herrgott, lassen Sie doch das dumme Wort weg – tatsächlich, tatsächlich! Das ist noch gar nicht ausgemacht! Alles, was wir wissen, ist, dass es systemisch ist und das ist schlimm genug, aber mehr kann man noch nicht sagen. Jetzt wollen wir erst mal sehen, wie wir die Frau wieder aus Ihnen rausbekommen. Sie waren bei Kernanatom Dr. Tulp, wie mir Dr. Darmstätter …?«
    »Ach, dieser verdammte Huren-!«
    »Jaja, regen Sie sich nicht auf! Lassen Sie uns lieber überlegen, was wir jetzt schnell tun können, Sie müssen ja gewappnet sein, wenn Sie mit der Behandlung der Patientin beginnen, das kann Ihnen schließlich niemand abnehmen, sie ist ja zu Ihnen geschickt worden – wann kommt sie zu ihrer ersten Sitzung, morgen?«
    »Ja, ich glaube.«
    »Hm, Sie gehen also heute Nacht ins Schlaflabor rüber. Vielleicht könnte man vorher schon mal … hm, kleine Liquordialyse oder besser gleich eine Drainage?«
    »Sehr komisch, ich lach’ dann bei Gelegenheit mal drüber.«
    »Entschuldigung, das war geschmacklos«, er lässt sein Gesicht erschöpft in seine Hände fallen, und einen kurzen Moment fürchte ich, er könnte zu heulen anfangen, aber das seehundartig anhebende Geräusch entpuppt sich als gewissenhaft gründliches Gähnen. Dabei massiert er sich kräftig die Stirn und spricht etwas undeutlich durch seine Hände und sein Gähnen hindurch. »Sie müssen verzeihen, von Stern, ich war blödsinnigerweise wütend auf Sie, gänzlich ungerecht, Ihnen die Sache zum Vorwurf zu machen, aber es ist nun mal eine Gefährdung für alle und …«
    »Schon gut«, ich erhebe mich schwerfällig, aber statt zur Tür hinaus, gehe ich zum Fenster, genau dorthin, wo sie gestern gestanden hat, stelle mich leicht breitbeinig, mit auf dem Steiß verschränkten Händen und offiziersartig ausgestellten Ellbogen auf, schaue schläfrig hinaus und rotiere dann den Kopf über meine linke Schulter zu Dänemark zurück:
    »Eine wirklich tolle Aussicht haben wir hier.«
    »Wie? Äh ja … ja natürlich«, er hat seine Hände endlich aus dem Gesicht bekommen und schaut mich kurz unwirsch an, steht dann aber wie hypnotisiert auf, kommt zu mir, tritt in perfekter Nachahmung neben mich, und so nicken wir gemeinsam ein paarmal vor uns hin, bis er leise sagt:
    »Ja, es ist schön da draußen. Schauen Sie nur, wie die Wiesen hinabfallen, kurze und lange Halme fallen hinab und mit ihnen die Dotterblumen, die Scharfgarbe und der rosa Klee – einfach so fallen und dabei stehenbleiben, als wär’s das Natürlichste von der Welt! Das haut mich immer wieder um, diese verrückten Wiesen, jedes Mal wenn ich hinschaue.«
    »Ja. Nie im Leben habe ich ein solches Grün gesehen.«
    »Ja, ich auch nicht. Was meinen Sie, von Stern, ob wir das Fenster öffnen könnten?«
    »Hm … ich weiß nicht recht …«
    »Sie haben recht, lassen wir’s, es ist so eigentlich sowieso noch viel schöner. Was ich Ihnen nur sagen will – und das als jemand, der diesen Eigenbericht immerhin hinter sich gebracht hat: Lassen Sie sich nicht ankränkeln von falschen Fragen, von Fragen, die hier keine sind.«
    »Wie etwa?«
    »Dr. von Stern«, er dreht mir seinen Oberkörper zu, das lotrechte Trapez seiner Arme hinter dem Rücken rotiert elegant mit der Wetterfahne seines Rückgrats wie bei einem strebsamen Trachtentänzer. »Wir Ärzte, wir wollen uns nicht kennen. Wir schaudern vor uns selbst zurück wie die zarte Hand vor dem Heiligen, verstanden? Wir haben eine natürliche Scheu, eine stolze Scham davor, etwas Bestimmtes über uns selbst zu glauben, wir sind zu fein, um bei unserer Sache zu bleiben, immer bereit von uns abzuschweifen, denn wir sind vornehme Leute und keine Sklaven, verstanden?«
    »Aber ich muss doch diese Maxime dieses eine Mal aufheben, um meinen Eigenbericht …«
    »Müssen Sie nicht, Sie müssen sich um Ihren Stortex und Ihren Mediator kümmern und sonst gar nichts!«
    »Hmhm, gut, danke für den Hinweis, Herr Kollege«, Referent findet endlich die Kraft, vom Thema abzuschweifen und schickt sich an, den Raum zu verlassen, während Dänemark noch immer auf das Grün starrt. Schon fast an der Tür drehe ich mich noch einmal um:
    »Ach übrigens, Dr. Dänemark, da wir davon sprachen, mir fällt ein, dass Holm damals beim Bekenntnisappell gar nicht gefallen

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