Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)
mein Engelchen, helfen Sie mir! Der Doktor will mir meinen Bruch heute gar nicht mehr binden, alles muss ich allein machen!«
»Mein armes Professorchen!«
Patient und Schwester liefern sich ein Schnurrduell, während sie ihn zu Ende wickelt, und beide tun so, als würden sie gar nicht bemerken, dass Referent enerviert schnaufend seine Wäsche und seinen Kittel unter dem Hintern des Patienten vom Wickeltisch zieht und sich neben ihnen ankleidet. Mit dem Kittel legt sich wieder ein Wille um die nachgiebige Mitte in mir, Kern voll Schwäche, der nicht sein Fruchtfleisch anhält , und so bereite ich der unwürdigen Szene entschieden ein Ende, indem ich den Raum verlasse.
16.
Zurück in die Spur gelangen, nur darum geht es jetzt, back on the track , und zurück in die Spur kommt man nur über die Liste, die einem sagt, was man als nächstes zu tun hat. Denn diese Liste ist schließlich das einzige Buch des Lebens, in dem man lesen kann: Kniekrankheiten, Schwellungen, Entzündungsvorgänge – fester Boden – Männlichkeiten! Dennoch begibt sich Referent, statt seine Erdenliste zu befragen, zum Aufnahmezimmer, in dem diffusen und daher umso drängenderen Bedürfnis, die Bilder der Spaziergängerin an sich zu bringen. Rechtfertigt erneute außerplanmäßige Bewegung damit, dass die Erstellung des Berichts über die ambulante Patientin nun mal auch zu seinen Pflichten gehört und er dieser Pflicht ohne nochmalige Ansicht der Bilder nicht nachzukommen vermag. Mit ungläubigem Kopfschütteln über eine solch fadenscheinige Rechtfertigung betrete ich ohne anzuklopfen das Zimmer.
Hinter dem riesigen weißen Schreibtisch auf dem hohen roten Arztstuhl sitzt diesmal Dr. Dänemark, das Kinn auf die Fingerspitzen seiner vor dem Brustbein aneinandergepressten Hände gesenkt, es lässt sich nicht erkennen, ob er schlummert oder meditiert. Aber kaum dass ich mich leise räuspere, blickt er ohne jedes Erstaunen lächelnd zu mir auf:
»Ah, Dr. von Stern, da sind Sie ja!«
»Äh ja, da bin … Sie haben mit mir gerechnet?«
»Natürlich, wir kehren schließlich alle an den Ort des Verbrechens zurück, nicht? Besonders wenn wir keine mehr begehen. Im Ernst, es lag nahe, dass Sie noch mal zurückkommen würden, schon der Ordnung halber, die ja auch nichts weiter ist als ein Wiederholungszwang und –«
»Ja, herzlichen Dank, Herr Kollege, wann immer ich eine Einführung in –«
»Ach kommen Sie, nun seien Sie doch nicht so schlecht gelaunt! Setzen Sie sich lieber – wollen Sie hier hin? Ich kann gern solange auf den Patientenstuhl …«, er hebt seinen Hintern rhetorische zehn Zentimeter vom Stuhl und senkt ihn auf mein Kopfschütteln hin sofort wieder. »Wirklich nicht? Kein Problem!«
»Danke, bleiben Sie sitzen, ich will nur schnell …«, ich laufe um Dänemark und sein exquisites Rasierwasser herum und bücke mich dann neben ihm zum Drucker hinunter, aber die Bilder sind nicht da, und auch auf dem Fußboden liegt nichts mehr.
»Sie suchen die Scans Ihrer neuen Patientin?«
»Ja genau, wollte nur schnell den Bericht …«
»Oh, keine Sorge, das habe ich schon für Sie erledigt, Kollege, um wenigstens irgendwas Sinnvolles zu tun, ich sitze ja schon seit sieben Uhr hier rum. Also ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber diese Dienste in der Aufnahme machen mich wirklich mürbe. Die erste Stunde geht ja immer noch, da steh ich im Krieger II und in Trikonasana rum, schön, und dann arbeite ich noch ein bisschen an meinem Halbmond, aber danach weiß ich auch nicht mehr, was ich …«
»Ah ja, sehr nett von Ihnen, vielen Dank, und die Bilder, die sind … die haben Sie schon …?«
»In die Akte, ins Archiv rübergeschickt, ja klar.«
»Aha, sehr schön, dann werd ich sie mir vielleicht hier noch mal schnell ausdrucken, wegen der Behandlung, ist besser, wenn ich …«
»Aber Sie haben die Bilder doch gesehen! Und ich kann Ihnen ja außerdem meinen Bericht rüberschicken, wenn Sie wollen.«
»Hm ja …, was haben Sie denn in Ihrem Bericht geschrieben?«
»Wie, was ich geschrieben habe?« Er schaut amüsiert scheinverwirrt zu mir hoch. »Was soll ich schon groß geschrieben haben, nur den Kernbefund selbstverständlich: Parasympathisches Defizit und mangelnde Gesundheitseinsicht.«
»Ah ja, gut gut gut.«
»Ist Ihnen nicht gut, Kollege? Würden Sie sich bitte setzen, von Stern, Sie machen mich ganz verrückt mit Ihrer bleichseherischen Rumsteherei.«
Und so setze ich mich tatsächlich auf den Patientenstuhl, lasse mich
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