Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)
Kissen zurückfallen, hob nur noch einmal die verklebten Lider und sah über Esthers blasse Wange hinweg, dass Referent hinter ihr auf der Bettkante saß und missbilligend in mein verklärtes Gesicht hinabsah. Aber ich war stärker als er, verschloss meine Augen vor ihm, und so war er schon verschwunden, als ich ruckweise wie ein tiefensüchtiger Apnoetaucher in einem altertümlichen Drahtkäfig nach unten sank in den Meeresschacht, und dort angekommen löschte mich die warme Schwärze aus, bis ich auf dem Rücken eines kleinen Delphins wieder an die Oberfläche getragen wurde.
»Na, wieder da?«
»Mhm.«
»Sie werden doch nicht etwa geschlafen haben, von Stern?«
Referent zuckt zusammen, blinzelt dadurch unkontrolliert und reißt sich, von Dankeviczs hellgrauem Strahlen geblendet, den Unterarm vor die Augen.
»N-nein, natürlich nicht – woher denn?«
»Richtig, woher denn?« Dankevicz lacht gutmütig und tätschelt mir die Schulter. »Woher sollten Sie den Schlaf auch nehmen, können ihn sich ja nicht aus der Rippe schneiden, was? Alles kann man sich aus der Rippe schneiden, alles außer Schlaf, wie?«
31.
Bei vollem Tageslicht sind die Katzenaugen von Dankevicz so geheimnislos und stumpf wie die einer Schwester. Wenn er nicht im fluoreszierenden Blaulicht seines Schlafsaals steht, geht ihm die helle Magie ihres toxischen Strahlens bis auf den letzten Glimmrest verloren. Dankevicz quittiert diesen Gedanken von Referenten mit einem routiniert melancholischen Nicken. Er muss das Erstaunen über seine Entzauberung am Morgen danach schon tausendmal im Kopf seines jeweiligen Gegenübers gelesen haben, das, wie ich jetzt, frisch geduscht, übergründlich rasiert und doch noch sichtlich angeschlagen von den Strapazen der Schlafsimulation, an dem kleinen Schreibtisch in seinem lichten Sprechzimmer Platz nimmt und nervös auf das Urteil des Überfliegers wartet.
»Mehr als tausend Mal, weit mehr! Sie waren noch nie hier in meinem Büro, was, von Stern?«
»N-nein … nein, ich hab Ihnen meine Patienten ja immer nur direkt rüber in den Schlafsaal gebracht, ja, ich glaube, ich habe Sie tatsächlich noch nie außerhalb des –«
»Tja ja«, seufzend legt er seine massigen Arme vor sich auf den Tisch und beginnt, etwas wehleidig mit sich selbst Händchen zu halten, wodurch das Rund seiner Arme wie eine lilagrünschwarze Seeschlange vor mir liegt, die sich als Rettungsring tarnt. »Obwohl mein Sprechzimmer direkt an den Schlafsaal angrenzt, liegen dazwischen irgendwie … Naja, wollen wir nicht heulen – es ist, wie’s ist! Wenn auch immer nur wie und nie, was es ist, wie?«
»Äh … wie?«
»Apropos, kommen wir zu Ihren Bildern.«
Ruckartig beugt er den Oberkörper neben der Tischkante nach unten und hebt einen dicken Stapel Scans vom Boden auf, die so ordentlich übereinandergelegt sind und obendrein, weil die Bilder noch ganz frisch sind, so fest aneinander kleben, dass sie wie ein dunkelgrauer Steinblock, durch den sich rote und weiße Adern ziehen, oder eher wie dessen Styroporattrappe aussehen, denn an der schwungvollen Bewegung, mit der Dankevicz sie auf den Tisch legt, sieht man, dass sie kaum Gewicht haben.
»Schauen Sie selbst, Kollege«, er löst das oberste Blatt vom Block, und das klebrig schmatzende Abziehgeräusch gibt mir einen kleinen Stich in den Solarplexus, sodass meine Linke leicht zittert, als sie das Blatt entgegennimmt. »Erst mal zum Erfreulichen: Ihre Grundstruktur ist vollkommen unauffällig. Ganz regelmäßig alle neunzig Minuten REM, und in den REM-Phasen registriert der Phallograph den üblichen tumeszenten Tumult, ganz normal alles, keine Besonderheiten, keine exorbitanten Vertikalspannungen, wirklich nichts Aufregendes bei Ihnen, von Sternchen.«
»Ja, na klar«, müde grinsend schaue ich zur Seite aus der Fensterwand ins Grüne. »Aber vielleicht können wir diesen Teil für heute überspringen. Immerhin erledige ich seit fast zwanzig Jahren meine GV-Dienste störungsfrei, niemals irgendwelche Beschwerden, bin daher auch nicht zur Tumeszenzmessung zu Ihnen geschickt worden, sondern um mich wegen meiner Stortexläsion und des Verdachts auf eine Dysfunktion meines Mediators lesen zu lassen. Ich verstehe ja, dass Sie als Experte sich besonders für Phallographie interessieren, aber das war schließlich nicht der Sinn der Schlafübung.«
»Lieber Dr. von Stern, verehrter Kollege«, er lächelt äußerst liebenswürdig, und instinktiv rutsche ich mitsamt dem Stuhl ein Stück
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