Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)
Bilder, vor denen man sich nicht mehr verstecken kann, in keinem Winkel seiner verkommenen Seele, und dann wird man sich endlich stellen, und dann kann nichts mehr in einem wispern und höhnen, kein doppelter Boden. Und ich werde ich selbst sein, seiend mit Dir; denn auch dass ich sein soll, das hast Du mir gegeben, und dann wirst du mir gut sein …«
»Sei still, ist gut jetzt, Franz.«
Sie strich mir über die feuchte Stirn und sah mich ängstlich an, sodass ich mich einigermaßen wieder fasste, ein paarmal schwer schluckte, weil meine Mandeln plötzlich geschwollen waren. Und während ich mich vage darüber wunderte, dass die Jungs verschwunden waren, fiel mir wieder ein, wie ich als Kind immer versucht hatte, die schmerzenden Mandeln ganz runterzuschlucken und geglaubt hatte, es müsse mir doch gelingen, wenn ich nur wollte. Erst als Esther meine Hand nahm, fand ich meine Stimme wieder:
»Und was wirst du in deinen Bericht über den alten Hoffmann schreiben?«
»Ich werde schreiben: Patient schreit unablässig .«
»Aber er schreit doch gar nicht unablässig.«
»Ja, aber alles andere geht die Leute nichts an«, sie zuckte lächelnd die Achseln, verdüsterte sich dann aber und fügte leise hinzu: »Und außerdem weiß ich nicht, was ich sonst schreiben soll. Alles andere ist falsch.«
»Aber so lässt du ihn doch auch im Stich.«
»Ich weiß«, sie nickte schuldbewusst, »ich weiß.«
30.
»Wo bin ich?«
»Bei mir.«
Ich hob den Kopf, sah sofort ein, dass er fünf Kilo wiegt, legte ihn diskret wieder aufs Kissen zurück, als habe ich ihn stehlen wollen, aber im letzten Moment noch den Ladendetektiv gesehen, beschied mich also mit dem kleinen Blick auf das weißgefurchte Feld vor mir und ließ meine Augen über die Streifen der weißen Batistbettdecke wandern, ein matter Streifen, ein glänzender, einer matt, einer glänzend, und immer so weiter, so wie ich’s gern hab …
»Bleib kurz wach, du musst versuchen, ein paar Minuten bei dir zu bleiben. Und bei mir.« Sie stopfte mir ein zweites Kissen hinter den Kopf. »Komm – hoch!«
»Ist das dein Bett?«
»Tja, wie soll ich’s dir erklären«, sie zog die Augenbrauen hoch und die Mundwinkel runter und sah sich nickend um Raum um, »ihr Liwadija-Auszeichnungsleute seid ja hochgradig logisch herausgefordert, aber da das hier mein Zimmer ist, wird das Bett darin höchst wahrscheinlich auch …«
»Ach hör auf, ich kann einfach nicht glauben, dass ich bei dir bin, in deinem Zimmer, in deinem Bett – im Djulber-Palast. Wie hast du mich hier reinbekommen?«
»Der Taxifahrer, der uns von Massandra rübergefahren hat, war sehr hilfsbereit und hat mir geholfen, dich hierherzuschleppen. Das Fieber hat dich torkeln lassen wie drei Seeleute auf Landurlaub.«
»N-nein, ich meine, wie … wie hast du’s geschafft, mich hier durchzukriegen, ich meine … durch all die Schleusen?«
»Wieso?« Sie zuckte verständnislos die Achseln. »Ich kann doch mitbringen, wen ich will, ist doch meine Sache.«
»Ist es nicht! Ich weiß zufällig, dass ihr niemanden mitbringen dürft.«
»Ah ja?« Sie verzog verächtlich den Mund. »Schon mal versucht, ja?«
»Nein, nicht was du denkst, jemand hat es mir erzählt. Ich weiß, dass ihr niemand mitbringen dürft, dass ihr Leute von Djulber ein Gelübde zu leisten habt und schon allein deshalb –«
»Ach, das sind nur Gerüchte, es ist kein richtiges Gelübde, wir haben unseren Körper lediglich um Keuschheit zu bitten, und genau wie ihr müssen wir an unserer Pratyahara arbeiten, Patañjalis Yogasutren in der Praxis verinnerlichen, die grundlegenden fünf Yamas und Niyamas mithilfe der Asanas in den Körper übersetzen, nur dass wir eben an manchen Stellen härter arbeiten müssen als die anderen hier, aber als Einheimische müssen wir das sowieso. Und immerhin liegen Monitoring und Evaluierung dieses Prozesses ausschließlich bei uns, wir müssen selbst einschätzen, wie weit wir in unserer Arbeit schon gekommen sind.«
»Na, entweder du warst noch nicht sehr weit«, ich nahm ihre Hand, »oder der letzte Sonntag war ein schwerer Rückschlag.«
»Ja, das stimmt, aber da praktischerweise alle Yogapfade am Ende zu Raja führen, dachte ich, ich könnte diesen Rückschlag unter Niyama drei, Akzeptiere deine Lebensumstände , verbuchen, und im Fall weiterer Abschreibungen werde ich es mit dem heiligen Augustinus halten und jeden Abend zu meinem Körper beten: Gib mir Keuschheit und Enthaltsamkeit, nur gib sie nicht schon
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