Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)
zurück, da schwellen ihm vor Wut auch schon die Adern an seinem Hals und an seiner Schläfe, und er brüllt:
»Ich interessiere mich nicht für Phallographie, ich bin Phallographie!«
»Entschuldigen Sie, Dr. Dankevicz, so meinte ich es –«
» Experte ! Ich bin kein Experte, ich bin Profi, und zwar der einzige hier!«
»Jaja, natürlich.«
»Mir haben das Clinical Journal und der National Pornographic schon Sondernummern gewidmet, da haben Sie noch auf der Krim irgendwelche fetten alten Weiber mit Fango vollgeschissen, und ich bin gerade mal fünf Jahr älter als Sie!«
»Jaja, natürlich. Beruhigen Sie sich, Dankevicz, denken Sie an Ihren –«
»Mein Mediator kann mich mal! Experte ! Ich bin verdammt noch mal der letzte Phallographologe der klinischen Welt! Von Anfang an war ich nicht nur der führende, wie das Clinical Journal schon vor über zwanzig Jahren geschrieben hat, sondern auch der letzte. Ich musste immer mehr Gebiete unter Kontrolle haben als ihr Komiker hier alle zusammen! Ich kenne mich überall aus, das liegt in der Natur der Sache, an der Größe meiner Aufgabe, der Verantwortung, die ich zu tragen habe. Tagein, tagaus, jahrein, jahraus!« Er wiederholt die vier Worte und klopft dabei ihr Metrum mit der flachen Hand auf die Schreibtischkante, wovon sein Kopf noch röter wird. »Man sagt ja, Gott ist der große Verteiler, er gibt jedem so viel, wie er tragen kann, mich aber hat er weiß Gott zu reich beschenkt. Wen Gott liebt, den schlägt er – oh ja! Mich muss er sehr lieben, denn er prügelt mich mit seinen Gaben wie einen alten Hund! Sie haben keine Ahnung, wie das ist, von Stern, keine Ahnung! Die Männer kommen zu mir in ihrer Not, und als ihr Phallographologe bin ich nicht nur ihr Arzt, sondern auch ihr Beichtvater, ihr Bruder, ihr … nennen Sie’s mir! All diese Männer sind die Söhne von jemandem, aber ihre Väter kommen nicht einmal zur ersten Untersuchung mit, geschweige denn, dass sie ihre Söhne bei der oft langwierigen und peinlichen Therapie begleiten. Und das liegt nicht daran, dass die Väter tot wären, auch wenn viele von ihnen freilich tot sein mögen. Nein, sie kommen einfach nicht mit und sagen dann, dass sie mit den Söhnen einfach nicht mehr mitkommen. Ich hingegen, der ich von manch einem meiner Patienten der Sohn hätte sein können, ich gebe diesen Männern Halt und –«
»Dankevicz, jetzt beruhigen Sie sich endlich!«
»Die Männer kommen zu mir und –«
»Dankevicz, ist gut jetzt«, ich lege ihm sanft die Hand auf den Unterarm. »Niemand kommt mehr zu Ihnen, und das wissen Sie auch. Niemand interessiert sich mehr für Phallographie, noch nicht einmal sie selbst.«
Er atmet noch immer schwer, sieht glasig und mit leicht geöffnetem Mund durch mich hindurch, dann nickt er plötzlich, lässt seine Stirn in den Schirm seiner linken Hand gleiten, drückt sich mit Daumen und Mittelfinger gegen die Schläfen und schüttelt dabei ansatzweise den Kopf. Noch immer liegt meine Hand auf seinem Arm, und idiotischerweise wundere ich mich für einen Moment, dass seine glatte schwarzlila Haut ebenso warm ist wie meine, worüber er hinter seiner Hand plötzlich kichern muss, sein Mund zuckt halb amüsiert, halb gequält, und ich beeile mich zu sagen:
»Aber es macht nichts, dass sich niemand mehr dafür interessiert, dafür sind Sie der beste Gedankenleser der klinischen Welt, nein, nicht nur der beste, der einzige!«
»Schon gut, von Stern«, noch einmal reibt er sich Stirn und Augen, dann hat er sich wieder im Griff, wirft stolz seinen Zopf über die Schulter nach hinten und nickt mir sein übliches joviales Lächeln zu. »Nicht sagen, weiß schon!«
»Ja natürlich, ich weiß, dachte nur …«
»Woher wollen Sie wissen, was ich weiß?«
»Äh …?«
»Kommen Sie, von Stern, glauben Sie, ich wüsste nicht, dass Sie Gedankenlesen können?«
Er klopft mir gutmütig lachend mit seinen großen Händen auf beide Schultern und ich sacke leicht in die Knie.
»W-was? Nein, kann ich nicht. Natürlich nicht …«
»Geben Sie’s auf, etwas lächerlich, mir gegenüber zu leugnen, oder? Ich meine, Sie wissen doch, dass ich weiß, dass Sie wissen, dass ich …«
»Aber ich kann’s wirklich nicht, Dankevicz, ich schwör’s!«
»Natürlich können Sie’s nicht! Kommen wir wieder zu Ihrer Sache – wollen wir nicht auf die Terrasse gehen«, er berührt die Glaswand, und lautlos schiebt sie sich zur Seite. »Ist heute draußen wieder so schön wie einst im Mai.«
Ich
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