Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)

alle eben. Schreiben Sie Ihren Eigenbericht runter, nehmen Sie Ihren Mediator an die Kandare und übersetzen Sie Ihre Scheinerinnerungen in das, was sie sind, ein Haufen falscher Spuren, und dann wird die Zeit sich wieder verflüssigen und Sie mit sich zurück ins flow bringen.«
    »Jaja. Sagen Sie, Dr. Holm, machen Sie irgendwas Neues für Ihre Brust?«
    »Wie? Oh, ja«, er schaut mit vorgeschobener Unterlippe an sich runter. »Ich mache seit ein paar Wochen eine Variation von schwebendem Shaturanga , so ähnlich wie einarmiger Liegestütz, aber mit beiden Beinen in der Luft.«
    »Sie meinen, Sie machen den Pfau, Mayurasana ?«
    »N-ja, so ähnlich, aber eben nur mit einem Arm. Recht effektiv. Kann ich Ihnen zeigen, wenn Sie wollen.«
    »Ja gern«, ich nicke anerkennend. »Sieht wirklich sehr gut aus.«
    »Danke, Kollege.«
    Dankevicz mustert mit gönnerhaftem Lächeln Holms Brust und nimmt dann die Hantel in die andere Hand, um auch den zweiten Bizepszwilling zu stillen, und während ich weiter Zigaretten drehe, fällt mir auf, dass die Schwesternpatrouille uns gerade schon zum dritten Mal umkreist. Um sie herum schwirren jetzt die Turnzwillinge Ada und Ardor, flattern mal vor, mal hinter den Schwestern wie zwei Schmetterlinge, das Mädchen schlägt ein Rad nach dem anderen, während Ardor wie gewöhnlich auf seinen Händen läuft, und mir scheint, dass die goldenen Haarspangen in ihren dunklen Lockenköpfen bis hoch zu mir leuchten. Ich recke das Kinn in ihre Richtung und frage Dr. Holm:
    »Wissen Sie was Genaueres?«
    »Nein, auch nur das, was Schwester Ananke mir erzählt hat. Es hat unten anscheinend wieder mal einen Tumult gegeben, wahrscheinlich das Übliche, vielleicht aber auch ein bisschen stärker als sonst. In der Stadt sollen Gerüchte von einer Ambulanten die Runde gemacht und für Unruhe gesorgt …«
    »Und jetzt wollen die alle hier rauf!«
    Dankevicz schüttelt bitter verächtlich den Kopf, aber Holm lacht vergnügt auf und schnurrt:
    »Ja und? Kann man ihnen auch nicht verdenken, dass ihnen das Gras auf unserer Seite des Zauns grüner vorkommt, oder? Sie wissen’s eben nicht besser. Zumal sie kein Gras haben.«
    Darauf lacht Dankevicz so dröhnend und gelöst, als wäre er nicht hier draußen im grellen Maienlicht, unter den Augen des Sonnenvaters, sondern im selig sinistren Reich seines Schlafsaals, aber Holm runzelt plötzlich die Stirn und sieht mich besorgt an:
    »Wird sich sicher spätestens nach ein, zwei Tagen beruhigen, wie immer. Das Dumme ist nur, dass einige Leute hier Sie dafür verantwortlich machen. «
    »Aber ich kann doch nichts dafür, dass man mir eine Ambulante heraufschickt!«
    »Das weiß ich doch«, beschwichtigend legt er seine Hand auf meine, nimmt dabei beiläufig meine Zigarette und zieht tief und mit zusammengekniffenem linken Auge. »Aber Dänemark und Darmstätter verbreiten überall auf den Gängen das Gerücht, Sie hätten die Frau selbst heraufbeschworen.«
    »Diese Schweine!« Ich nehme Holms Seil und beginne wütend zu springen. »Diese verdammten Schweine!«
    Holm streckt sich gähnend an meiner Stelle auf dem Liegestuhl aus und pustet sich nachlässig ein winziges Häuflein Asche von der Schulter.
    »Regen Sie sich nicht auf, von Stern, schwächt Sie nur unnötig. Und Sie haben im Moment weiß Gott keine Kraft zu verschwenden.«
    »Ja, genau. Lassen Sie uns lieber überlegen, was wir jetzt tun … Ah, ich weiß«, Dankevicz lässt abrupt die Hantel sinken, schlüpft in sein Büro und taucht kurz darauf mit dem roten Aktendeckel von gestern Abend wieder auf, setzt sich rittlings auf den Liegestuhl, öffnet den Aktendeckel, in dem nur ein leeres Blatt zum Vorschein kommt, drückt ein paarmal gereizt auf einen Druckbleistift, bis die Mine widerwillig aus ihrer Hütte gekrochen kommt, und schaut dann mit dem angestrengt sinnierenden Blick desjenigen, der scheinbar auf einen klaren Gedanken, tatsächlich aber aufs Diktat wartet, zwischen Holm und mir hin und her. »So, wolln wir mal sehen, ob wir nicht wenigstens einen Anfang finden können …«
    »Sind Sie vollkommen wahnsinnig geworden?« Holm reißt ihm den Aktendeckel weg. »Haben Sie sich heute Ihre Tätowiernadel direkt ins Hirn gesetzt?«
    »He, he, he, ruhig, ruhig!« Ich lasse das Seil fallen und stürze zwischen die beiden, weil Dankevicz in aller Körperruhe mit beiden Pranken nach Holms Kopf gegriffen hat als wolle er ihn ihm wie einen Kürbis vom Körper pflücken. »Ist gut, Dankevicz, lassen Sie ihn