Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)

Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)

Titel: Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angelika Meier
Vom Netzwerk:
entgegen. Dankevicz schüttelt großväterlich tadelnd den Kopf, tut es uns dann aber gleich und brummt, während er die Sonnenbrille wieder vom silbernen Mittelscheitel auf die Augen rutschen lässt:
    »Ihr Wort in den Ohren der Klinikleitung, Holm. Wollen wir nur hoffen, dass die da unten jetzt nicht alle hier …«
    »Ach Blödsinn, Dankevicz, Sie alte Unke, es ist noch nie was passiert, also wird auch weiter nichts passieren. Nur weil es ab und an anscheinend mal einem Blindgänger gelingt, durch den Zaun der untersten Wiese durchzuschlüpfen …«
    »Diesmal ist es anders, Holm, ich sag’s Ihnen, es brodelt da unten. Ein Gerücht von einer Ambulanten, das ist ein anderes Kaliber, das schlucken die Leute nicht einfach so. Würde mich übrigens nicht wundern, von Stern, wenn es doch wahr wäre, was Dänemark und Darmstätter über Sie verbreiten, und Sie die Frau tatsächlich selbst hier heraufbeschworen hätten, Sie oder Ihr kaputter Mediator, was ja irgendwie momentan dasselbe zu sein scheint.«
    »Schauen Sie, ich bin ganz ruhig, Dankevicz«, zum Beweis strecke ich meine Hände aus, die kein bisschen zittern. »Und das Beste, was ich für Sie tun kann, ist, Ihre abstrusen Vorwürfe als nicht geäußert zu betrachten.«
    »Wie Sie wollen, aber Sie wissen schließlich, dass ich alles über Sie weiß«, er beugt sich direkt über mich, und mit Erstaunen betrachte ich meine tiefblauen Augen in seiner spiegelnden Sonnenbrille. »Sie haben Heimlichkeiten mit dem Meer, mit dem Meer haben Sie …«
    »Bei allem ärztlich gebotenen Mitgefühl für Ihre Anadiplosie, Dankevicz, aber das sagten Sie bereits und …«
    »… und bei allem ärztlich gebotenen Mitgefühl für Ihre Agraphie, von Stern, aber Sie bringen uns hier alle noch in –«
    »Gut, es reicht jetzt«, Holm braucht die sonnentrunken gedehnte Stimme nicht zu heben, denn dankbar für seinen leisen Zwischenruf schweigen wir auf der Stelle. »Lassen Sie uns lieber noch ein wenig gemeinsam in Shavasana gehen, bevor wir uns wieder in den Gang der Dinge einfädeln müssen.«
    Und so schließen Referenten die Augen und lassen in dynamischer Gemeinschaft ihr leise summendes Prana strömen. Aber der Zauber trägt uns nur ein paar Atemzüge lang, denn von irgendwo hinter uns mischt sich ein kleines Wimmern in unser Summen. Verwundert rotieren wir die Köpfe, und in der Terrassentür, an der Hand der vorwurfsvoll dreinblickenden Schwester Ariane, steht mein Wunschsohn Evelyn. Er ist noch immer im Pyjama, so wie ich ihn im Schlafsaal hinterlassen habe, und erst jetzt, wo ich ihn sehe, fällt mir auf, dass ich ihn schon wieder vollkommen vergessen hatte.

34.
    »Finden Sie nicht, der Junge ist ein bisschen zu alt, um noch von Ihnen gebadet zu werden, Herr Doktor? Er ist neunzehn – neunzehn! Da ist man doch wohl normalerweise längst erwachsen, oder nicht, Herr Doktor?«
    Wie immer, wenn Schwester Ariane Referent mangelnden Respekt bezeigen will, hat sie ihre Hände, statt sie vorschriftsgemäß auf dem Rücken zu falten, in die geraden Hüfttaschen ihres Kittelkleides gestopft, wodurch automatisch nicht nur ihre Augenbrauen, sondern auch ihre Schultern missbilligend gehoben sind. Dank dieser kindischen Demonstration kann ich Ariane so weit wie möglich ignorieren, was nicht sehr weit ist, aber immerhin so weit, dass man auf ihre Fragen nicht direkt beim ersten Mal antworten muss.
    »… normalerweise längst erwachsen, oder nicht, Herr Doktor?«
    »Doch doch, ich nehme es auch an, ist man wohl, aber er hat es so gern, und außerdem hab ich heute mal wieder was gutzumachen bei ihm – und hoppalla, jetzt aber raus aus der Wanne mit Ihnen, mein Junge!«
    Aber Evelyn wackelt nur gemütlich mit Kopf und Hintern und lächelt mich vergnügt an, und so drücke ich den riesigen Schwamm noch einmal über seinem Kopf aus, ohne auf Arianes scharfes Einatmen zu achten.
    »Gut, er ist natürlich etwas zurückgeblieben, darauf versuchen wir hier alle Rücksicht zu nehmen, Herr Doktor, aber –« »Er ist überhaupt nicht zurückgeblieben, Schwester, aber das verstehen Sie sowieso nicht.«
    »Oh natürlich, verzeihen Sie, Herr Doktor«, sie spitzt bösartig süßlich die Mäuselippen. »Ich bin ja nur eine einfache Schwester, habe kein Herz und verstehe daher nicht –«
    »Genau. Seien Sie so gut und geben Sie mir das große Handtuch da – danke. Für einen Jungen, der von seiner Mutter in einer Postklappe abgelegt wurde und sich daher weigert, zur Welt zu kommen oder zumindest

Weitere Kostenlose Bücher