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Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)

Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)

Titel: Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angelika Meier
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einzige Korrektur vorgenommen in all den Jahren, hab sie noch nicht mal am Anfang gelesen, na, vielleicht die ersten paar Monate, aber dann nicht mehr, ödes Zeug.«
    »Schon, aber man muss doch über sich im Bilde bleiben oder zumindest auf dem Laufenden. Na wie auch immer, warum also? Warum sind Sie Arzt geworden?«
    »Ich hatte keine Wahl.«
    Dankevicz und ich schauen uns kurz verdutzt an und müssen dann lachen. Grinsend nickt Holm abwechselnd uns und seinem Bauchnabel zu, bis Dankevicz unseren Heiterkeitsausbruch mit einem kleinen Applaus beendet.
    »Gut gescherzt, Holm, nicht ohne Tiefe. Denn es ist ja wahr, auch wenn niemand eine Wahl hat, hat man keine Wahl. Naja, niemand außer mir, versteht sich …«, Holm und ich verdrehen die Augen, aber Dankevicz fährt störrisch fort: »Ja, auch wenn Sie’s alle noch immer nicht glauben wollen, ich bin tatsächlich freiwillig Arzt geworden. Ich bin ja überhaupt der einzige hier, der einen Heilshintergrund hat, alter Osteopathenadel, die Zweige meines Baums erstreckten sich über ganz Europa, meine Familie hat immerhin auch den Bodyguard von Bhagwan hervorgebracht … aber gut, lassen wir das, warum also …, nein, auf welche Weise hatten Sie keine Wahl, Holm, warum sind Sie …?«
    »Warum ich Arzt geworden bin? Weil ich mich liebte, weil ich mich abgöttisch liebte, warum sonst? Was hätte ich mit einer solchen Passion anderes werden sollen?«
    Dankevicz und ich schweigen betreten, Holms Blick flattert scheu und zugleich wütend zwischen uns hin und her, dann kommt sein hilfloser Lidschlag zur Ruhe, und leise fügt er hinzu:
    »Ich war erst fünfzehn, als ich mir das Herz gebrochen habe.«
    Dankevicz schluckt ein paarmal peinlich hörbar, bevor er leicht heiser murmelt:
    »Das ist hart, Mann!«
    »Ja«, Holm grinst ihm gequält zu, »das nehme ich auch an«. Dann senkt er den Blick und beginnt surrend in Zungen zu reden, träumerisch und doch klar verständlich, als wolle er der unruhigen Maserung der Terrassenbohlen eine Gutenachtgeschichte erzählen:
    »Solange ich denken kann, wusste ich nicht wohin mit mir. Was hätte ich tun können? Wem mich anvertrauen? Zum Arzt gehen? Herr Doktor, ich habe mir das Herz gebrochen! Wohl kaum, nein. Wenn man sich selbst liebt, haben die Menschen kein Verständnis für einen, man kann ihnen keinen Vorwurf daraus machen, sie verstehen es nicht besser, in ihren ordentlich selbstgefälligen Leben gibt es keinen Platz für die Ungeheuerlichkeit eines solch erbärmlich verfehlten Verlangens. Sie haben keine Ahnung, was es heißt, verachtet zu werden von dem Einzigen, der einem die Welt bedeutet, tief verachtet, aus dem Innersten heraus verachtet, nicht nur abgewiesen, sondern für alle Zeit abgelehnt zu werden, und dann, das Kinn im Staub, doch noch auf ein andermal vertröstet zu werden und so wieder und wieder ins Leere zu greifen und dem faulen Zauber dieses erniedrigend durchschaubaren Spiels doch nichts entgegensetzen zu können. Jahrelang hab ich gegen die Sirenen meiner Stimme angebrüllt, die Lautsprecher voll aufgedreht, Kill your idols, kill your idols, kill your idols, let’s go! Aber es hat alles nichts geholfen, denn ich wollte doch nur eins, mich einmal auf mich selbst legen, mich in Deckung bringen, einmal in Ruhe mit mir allein sein, aber auch wenn ich mir manchmal freundlich zuzulächeln schien, mitleidig gerührt über mich den Kopf schüttelte und mir zuflüsterte: was für ein seltsames Rasen , es gelang mir doch nicht ansatzweise, zu mir vorzudringen, und so wurde ich unter meinen Augen und denen aller anderen schwächer und schwächer, ohne irgendjemandem ein Wort sagen zu können. Meine Liebe zu gestehen, ja, das wäre wirklich ein Geständnis gewesen, eins, das einem Verbrecher zukäme, aber keinem großen Verbrecher, sondern einem armseligen Kleinkriminellen, gleichermaßen skrupel-wie fantasielos, einem, der sich schon nach seinem ersten Bruch einbuchten lässt.
    Es fiel in diese Zeit, dass meine Eltern von der Bank ihre salutologische Prämie ausgezahlt bekamen, Bei Gesundheit Geld zurück, und zusätzlich war in diesem Jahr die Treueprämie fällig, mein Vater hatte schließlich zwanzig Jahre lang in untadeliger Stereogamie ausschließlich meine Mutter und seine Sekretärin gepflügt, ich weiß nicht mehr, zu welcher der beiden Prämien es ein Appendix war, auf jeden Fall flatterte uns an einem Montagmorgen dieses Angebot ins Haus: Tausend Kinder fliegen umsonst . Meine Eltern waren sichtlich froh, mich

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