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Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)

Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)

Titel: Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angelika Meier
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endlich in gute Hände loszuwerden. Meine Mutter hat mein Kinn in ihre weichliche Hand genommen, aus ihren treuherzig braunen Hirschkuhaugen tief in meine von der Scham grün vertümpelten Seen hinabgeblickt und gesagt: Die Krankheit, mein Junge, das ist das ungelebte Leben . Es verlangt nach seinem Recht und du musst dich ihm nun stellen . Mein Vater, dem nur allzu klar gewesen sein muss, dass einzig die Vorstellung eines ungelebten Lebens eine Krankheit war, und eine böse obendrein, hat derweil aus dem Fenster hinausgesehen, die peinlich sauberen Hände auf dem Rücken gefaltet, und so getan, als würde er auf einen seiner Lieferanten warten, aber ich konnte deutlich sehen, wie das Blut unter seiner Schädeldecke pulsierte und wie seine zweite Stirn, die Rückstirn zwischen seinem Scheitellappen und seinem Hinterhauptslappen schuldbewusst auf mich feuerte. Ja, und so kam ich auf die Krim, und ab da …«, Holm kommt tief einatmend wieder zu sich, lässt seinen Blick zu uns zurück wandern und lächelt in bitterer Verklärung, »ab da gab es kein Halten mehr.«
    Referenten schweigen beklommen, dann frage ich leicht krächzend:
    »Sie waren auch auf der Krim?«
    Holm legt mir geistesgegenwärtig die hohle Hand auf den Solarplexus, fängt so die schlimmsten Schwingungen auf, sodass ich ruhiger weiterfragen kann:
    »Sind Sie auch von Dr. Karg hierher geschickt worden?«
    »Nein, ich wurde von Dr. Frauenfeld persönlich rekrutiert. Poetische Natur, empfindlich schöngeistig, schon damals darüber verbittert, dass man ihm nicht die alleinige strategieplanerische Führung des gesamten großklinischen Projekts Krim überlassen wollte. Ich habe ihm zweimal die Woche warmes Öl über seine hohe Stirn gießen müssen, und am Tag nach meinem Examen hat er dabei mein Handgelenk festgehalten und mir ein unabweisbares Angebot gemacht, die verlockende Stelle eines Arztes inklusive Referenten, und dabei schmutzig gegrinst: Sie werden also alle beide nächsten Monat reisen können, Holm . Tja, und so habe ich mir an diesem Abend eine Locke abgeschnitten, die ich dann zur Erinnerung auf meinem Herzen trug, bis es schwer nach unten sank, und kaum war ich aus der Anästhesie entlassen, fand ich mich schon in einem Flugzeug wieder und dann in einem Taxi und dann hier, fand mich wieder am laufenden Band«, er lacht nun plötzlich wieder sein dunkel heiteres Schnurrlachen, und noch etwas verhalten versuchen wir, ihn nachzuahmen. »Und so sage ich mir immer, es ist doch besser, als wenn ich mein Leben lang nur im Gerätekeller rumsäße und den Spiegel ablecken würde, hier kann ich mich wenigstens, nun ja … nützlich machen.«
    Erleichtert lachen wir alle drei und atmen danach sogar deutlich tiefer als bis zum Kehlkopf, unsere Schlüsselbeine dehnen sich lächelnd nach außen, und Dankevicz hat sein Dröhnen ganz wiedergefunden:
    »Genau so ist es, so und nicht anders, gut gemacht, Holm! Und außerdem müssen Sie sich immer sagen, dass Sie hier besondere Privilegien genießen. Immerhin sind Sie, anscheinend wegen der besonderen Härte Ihres Falles, konstitutiv vom GV befreit.«
    »Naja, was immer privilegiert so heißt«, Holm hält mir wieder auffordernd seinen Tabaksbeutel hin und ich beeile mich, ihm aus den letzten Krümeln ein dünnes Zigarettchen zu falten. »Tagein tagaus den Eintänzer und den Superschocker zu geben, der Anblick verdrehter Frauenaugen, der sich tausendfach im visuellen Stortex ansammelt, einen mit den Jahren ganz zumüllt, und jeden Nachmittag mit all diesen sehr alleinstehenden Frauen in der Dampfsauna rumsitzen zu müssen, ist auch kein reines Vergnügen …«
    »Hm ja, das verstehe ich natürlich«, Referent vollkommen gelöst, spürt den plötzlich wieder emsig vibrierenden Mediator gegen seine Rippen pulsieren, kann daher seine Rede frei aus mir strömen lassen, und versonnen höre ich ihm zu. »Ich für meine Teile finde es allerdings recht angenehm, für ein paar Wochen vom GV befreit zu sein. Aber wie auch immer, in jedem Fall ist doch im Grunde genommen alles hier ein reines Vergnügen, ein ganz und gar reines. Denken Sie nur, Kollegen, was da unten aus uns geworden wäre, niemals shanti, shanti, shanti finden, nicht auszumalen!«
    »Da haben Sie recht, von Stern«, Holm zwinkert mir an Referenten vorbei zu. »Wir haben das ganz große Los gezogen.«
    Schwachsinnig nicke ich ihm zu, wir strecken uns wieder lang aus, so gut es zu zweit auf der schmalen Liege eben geht, und lächeln dem Sonnenvater

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