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Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)

Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)

Titel: Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angelika Meier
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irgendwas in der Hand zu haben, und ohne zu wissen, wie mir geschieht, sauge ich daran, spucke das klebrige Zeug aber sofort wieder aus. »Pfui Teufel ist das süß! Ist ja widerlich!«
    »Ach, mir kann’s gar nicht mehr süß genug sein, dann lohnt sich’s wenigstens, dass sie mir nächste Woche schon zum dritten Mal den Kiefer neu aufbauen wollen«, Evelyn sitzt mit dem Rücken zu mir und hält seinen Springer hoch neben seinem Ohr. »Weißt du, Papa, was ich noch sagen wollte, ich glaube wirklich, dass er uns verarscht, der Rosenmann meine ich, denn am Ende des letzten Sommers – Schachmatt! – habe ich ihn einmal …«
    »Du bist ein teuflischer Mensch, Jungchen, ganz der Vater! Eigentlich ein unschuldiges Kind, aber noch eigentlicher eine Satanssonde …«
    »Ja, lass gut sein mit den alten Sprüchen, Opa. Also …«, Evelyn schraubt seinen Oberkörper zu mir herum und legt beide Hände gemütlich auf der Stuhllehne übereinander, »Ende letzten Sommers habe ich ihn einmal abends zurück ins Haus begleitet, Schwester Absenta lief singend hinter uns, er hängte sich bei mir ein und ich habe so was gesagt wie Die rote Rose unten am Gatter duftet noch immer, obwohl es schon fast Herbst ist, nicht wahr? Daraufhin hat er mir zugezwinkert und geflüstert Ja, sie duftet ganz herrlich, meine Neu-Rose , ganz herrlich! Und die Art, wie er mir zugezwinkert hat, gefiel mir ganz und gar nicht.«
    »Du meinst, er betrügt? Er ist gar kein Spitzenamnestiker?«
    »Keine Ahnung«, er zuckt die Achseln und legt schläfrig das Kinn auf die Hände. »Was auch immer er ist, in jedem Fall will er dich anscheinend wissen lassen, dass er nicht das ist, was er zu sein scheint. Welchen Sinn sollte es sonst haben, mir gegenüber so mit dem Zaunpfahl zu winken? Er kann davon ausgehen, dass ich es dir früher oder später erzähle, Papa.«
    »Hm, eher später …, wir haben jetzt Mitte Mai, du hast also ein dreiviertel Jahr …«
    »Ja, Entschuldigung, Vater, das kommt, weil ich etwas zurückgeblieben bin.«
    »Ja, natürlich«, ich stehe auf, gehe zu ihm hinüber und nehme sein Kinn in die Hand. »Mach mal den Mund auf! Zeig mal … Sehen doch gut aus, deine Zähne, sehr gut sogar.«
    »Ja, die Zähne schon, aber …«, er legt den Kopf leicht zurück und spricht undeutlich, weil er mit dem Zeigefinger im Gaumen rumhantiert. »Aber der Oberkiefer ist ganz verrottet, da, siehst du das Loch da – da?«
    »Nimm mal den Finger weg, so kann ich ja gar nichts …«, ich bücke mich und leuchte ihm in den Mund. »Tatsächlich, das ist ein ganz schönes Loch im Gaumen.«
    »Mhm, das ist aber noch gar nichts, Papa, guck mal hier«, er klappt seine Oberlippe mit beiden Händen nach oben wie die eines Pferdes, zieht dann die Lippe über dem linken Mundwinkel noch weiter und zur Seite hoch, sodass man sein Zahnfleisch bis zum Jochbein sehen kann, und legt schließlich den Kopf ganz in den Nacken. »Hier, schau mal, da ist alles löchrig, da kann man bis zum Auge durchsehen, in einem durchsehen, von hier bis zum Ende …«
    »Großer Gott, Evelyn!«
    »Nein, bitte nur kleiner Gott, Babygott! Papa Gott, Papa Gott, Pagott, Pagott, Pa -«
    »Schschsch, ist gut, alles gut jetzt, hab keine Angst, Evelyn, das machen wir weg, ich mache alles wieder gut …«
    »Tja, und wie will er das machen, der feine Herr Doktor?« Der Professor, der bis jetzt seinen Kopf tief über das Schachbrett gebeugt gehalten hatte, um die Partie Zug für Zug bis zu seiner ihm wie jedes Mal unbegreiflichen Kapitulation zu rekonstruieren, mustert mich jetzt über seine Fensterbrillengläser, aber ausnahmsweise lächelt er nicht höhnisch, sondern eher mitleidig. »Wie wollen Sie das anstellen, hm?«
    »Darüber wollte ich gerade mit Ihnen sprechen. Ich brauche Ihre Hilfe, ich wollte Sie bitten …«
    »Na na na, nicht so eilig, Satanssonde, machen Sie sich keine falschen Hoffnungen. Es wird einem im Leben ja so ziemlich alles geschenkt, hinter einem hergeschmissen, ob man will oder nicht. Kauf eins oder kauf auch keins und nimm noch eins umsonst und noch eins und noch eins … Aber eine zweite Chance, die bekommt man nicht, nie im Leben, und schon gar nicht hier«, er pocht mit dem Zeigefinger auf das Schachbrett. »Glauben Sie, Sie könnten hier den Bauern des Bauern geben, eine Figur sein, die gar nicht vorkommt im Spiel, unbemerkt durchlaufen und auf diese Weise doch noch gewinnen? Vergessen Sie’s, Weißhaut! Das haben schon ganz andere Galgenvögel versucht, sogar der

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