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Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)

Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)

Titel: Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angelika Meier
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meine Hände kurz loslassen, bitte?«
    »Nein, bedaure, das geht wegen der Übertragung leider nicht. Hat die Schwester Ihnen auch die Haare aufgemacht oder sind Sie schon so hier heraufgekommen?«
    Sie zuckt noch nicht mal mit der Wimper, sondern tut, als müsse sie beim Sprechen ein Gähnen unterdrücken:
    »Also schön, ich erzähle Ihnen meine Geschichte oder spiele sie oder was auch immer. Und sobald ich mit Ihnen spiele, übertrage ich meine Rechte an mir auf Sie, so weit ist das klar, das ist ja einfach nur der erste Hauptsatz der Thermonarzisstik: Das souveräne Spiel ist ein Verlustspiel, na schön. Und was tun Sie derweil? Sie hören mir zu, wie ein nachsichtiger Beichtvater, nehme ich an. Ich weiß nicht recht, was das helfen …«
    »Ja, es macht den Eindruck, als strebten wir nur die Stellung eines weltlichen Beichtvaters an. Aber der Unterschied ist groß, denn wir wollen von Ihnen nicht nur hören, was Sie wissen und vor anderen verbergen, sondern Sie sollen uns auch erzählen, was Sie nicht wissen. In dieser Absicht möchte ich Ihnen noch einmal eine nähere Bestimmung dessen geben, was wir unter Aufrichtigkeit verstehen. Wir verpflichten Sie auf die therapeutische Grundregel, die künftighin Ihr Verhalten gegen uns beherrschen soll: Sie sollen uns nicht nur mitteilen, was Sie absichtlich und gern sagen, was Ihnen wie in einer Beichte Erleichterung bringt, sondern auch alles andere, was Ihnen Ihre Selbstbeobachtung liefert, alles, was Ihnen in den Sinn kommt, auch wenn es Ihnen unangenehm zu sagen ist, auch wenn es Ihnen unwichtig oder sogar unsinnig erscheint. Alles könnte helfen«, ich rutsche noch näher an Sie heran, unsere Knie berühren sich, aber sie weicht nicht zurück. »Alles könnte wichtig sein, verstehen Sie?«
    »Schon, auch wenn ich, offen gesagt, kaum glaube, dass es Dinge gibt, die ich nicht über mich weiß oder die mir unangenehm zu sagen wären, ja noch nicht einmal solche, die mir unwichtig oder unsinnig erschienen – vor allem letzteres kann ich mir gar nicht vorstellen. Das ist ja mein Problem, ich dachte, deshalb wäre ich hier.«
    »Wie meinen Sie?«
    »Tja, wie soll ich’s sagen, Herr Doktor, sehen Sie: Alles erinnert mich an alles. Ich weiß nicht, ob Sie verstehen, was ich meine …«
    Sie zuckt fragend mit den Schultern, sieht dabei aber durch mich hindurch, als erinnere sie sich auch jetzt gerade an etwas ganz anderes und als wäre es ihr vollkommen gleichgültig, ob ich verstehe, was sie meint.
    »Natürlich, ich verstehe Sie vollkommen. Souvent me souvient , wie man früher so schön …«
    »Ach nein«, sie lacht verächtlich auf. »Das meinte ich gewiss nicht, ich bin doch keine sentimentale alte Chaiselongue. Ich meinte nicht, dass ich zu melancholischen Rückbeugen neige, ich bin ganz im Gegenteil eigentlich immer in der vollen Vorbeuge, halte alles immer durchgestreckt, Stirn an den Knien, was natürlich nicht optimal ist, wenn man anscheinend schwer paradefizitär ist, zwar gut für die Lymphe, doch auf die Dauer zu viel Blut im Hirn, aber immerhin ist es nicht feige. Während Rückbeugen doch ein feiges Geschäft sind, glauben Sie nicht?«
    »Nein, glaube ich nicht.«
    Glaube ich eigentlich doch und das kann sie mir auch ansehen, wodurch sie mich plötzlich in derartig argloser Traurigkeit anschaut, dass meine Schmerzen im Sonnengeflecht sich wieder versammelt zum Dienst zurückmelden. Aber jetzt lacht sie plötzlich, weil draußen zwei Kinder in Badehosen und Schwimmflügeln gegen die Scheibe klopfen und Grimassen schneiden, bis ihr Pfleger sie wegzieht, und ich setze schnell die von ihr fallengelassene Traurigkeit auf und sage gedehnt:
    »Jaja, so ist das alles. Sie werden mir helfen müssen, Ihnen zu helfen, Sie werden mir beibringen müssen, nicht feige zu sein, und dann werde ich hoffentlich verstehen, was Sie damit meinen, dass alles Sie an alles erinnert. Sie werden Geduld mit mir haben müssen, aber ich werde Ihr treuer Referent sein, werde alles für die Gegenwart retten, werde den raunenden Beschwörer des Präsens geben, immerhin bin ich Arzt. Nichts von dem, was Sie mir erzählen, wird in meinem Bericht verlorengehen, und so werden wir gütlich zusammenarbeiten.«
    Patientin steht das Angstwasser bis zu den Augen, aber sie lächelt stolz:
    »Gut, dann bringen wir’s hinter uns.«
    »Sag ich doch. Also, wie ich ebenfalls schon sagte, alles könnte wichtig sein«, ich stehe auf, hole meinen Bilderstapel, den Referent beim Eintreten vor Schreck

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