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Heimliche Helden

Heimliche Helden

Titel: Heimliche Helden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Draesner
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das Haus da, nicht das Haus für ihn. Nun aber, zu Hebels Zeit, ist es längst umgekehrt. Der Rekrut soll ein Denkmal, eine wichtige Person, einen Posten sichern; das Haus ist zu einem Kästchen geschrumpft und sichert ihn. Ja, er ist etwas wert. Eben dies kann er nicht fassen.
    Wer wollte da lachen?
    Oder doch weinen?
    Rekrut, nimm rasch deinen Hut.
    Der Furtwanger in Philippsburg
    Im Jahre 1734, als der Franzos Sturm lief auf Philippsburg, und die Reichstruppen lagen darin, steht ein Rekrut, ein Furtwanger, auf einem einsamen Posten seitwärts vom Angriff und denkt: »Wenn’s nur nicht hieher kommt!« Indem wächst ganz leise eine französische Grenadierkappe hinter dem Rempart herauf, und kommt ein Kopf nach mit einem Schnauzbart, wie wenn der Mond aufgeht hinter den Bergen. Denn ein paar Dutzend Waghälse hatten draußen eine Sturmleiter angelegt, um unbeschrien auf den Rempart zu kommen, und sahen die Schildwache nicht, dass eine da sei. Springt der Furtwanger herbei und gibt dem Franzosen einen Stich. Pfeifen auf einmal Kugeln genug um ihn her aus Windbüchsen, und geht ein zweites Franzosengesicht auf hinter dem Rempart. Gibt ihm der Furtwanger auch einen Stich und sagt: »Aber jetzt kommst du nimmer.« Item: Es kam der dritte und der vierte und bis zum zwölften. Als der Sturm abgeschlagen war und der Platzkommandant auf dem Platz herumritt, ob alles in der Ordnung sei, sieht er von weitem die Sturmleiter und zwölf tote Franzosen dabei, und wie er zu dem Posten kommt, fragt er den Furtwanger: »Was hat’s hier gegeben?« – »So?«, sagt der Furtwanger, »Ihr habt gut fragen. Wisst Ihr, dass mir einer mehr zu schaffen gemacht hat als Euch alle? Nur zwölfmal hintereinander hat er angesetzt. Unten im Graben muss er liegen.« Denn er meinte, es sei immer der nämliche gewesen, und es könne nur mit dem Bösen zugegangen sein, dass ihm allemal hinter dem Bajonett die Wunde wieder heilte. Da lächelte der Kommandant und die Offiziere, so mit ihm waren, und nahm ihm seinen Unverstand nicht übel, sondern er ließ ihm für jeden ein Halbguldenstück Stechgeld bezahlen, und durfte er überdies selbigen Abend auf Rechnung der Reichs-Operationskasse Wein trinken und Speck essen, so viel er wollte.
    Am Ende wird das Ränzlein gleich doppelt gefüllt. Im Bauch mischen sich Speck und Wein, im Geldsack klimpert die Abstechprämie.
    Welch blutrüstige Wundergeschichte.
    Wie einer lieber an Wunder glauben will denn denken. So soll es aber in Kriegen seit jeher zugegangen sein.
    Wie er Gesichter nicht unterscheiden kann.
    Sind die anderen so fremd? Ist es so dunkel?
    Gleichen die Feinde einander unter der Grenadierkappe so sehr?
    Die Erzählung schweigt dazu. Tut, als sei ihr der Slapstick des ständig neu aufgehenden, ständig abstürzenden Franzosen genug.
    Und beschreibt gleichwohl präzise und kühl den Mechanismus des Tötens. Abstechen eines Wesens, dessen Individualität man leugnen muss, um handeln zu können. Leugnen aus Selbstschutz, bis zur Dummheit. Die bedeutet, dass man ausblendet, wie gefährdet man selbst lebt.
    Die Kugeln pfeifen.
    Im zweifachen Füllen des Ränzleins, in der Notwendigkeit, den Rekruten mit Geld und Nahrung zu belohnen, zeigt es sich dann aber doch.
    Nur umgekehrt. Versteckt. Verborgen unter seinem guten Appetit.
    Und wir? Sitzen auf der Couch. Essen und sehen fern. Können wir die Gesichter unterscheiden? Einer um den anderen schieben fremde Menschen sich als Bilder über den Rempart (Schnittstelle) auf uns zu.
    Unverhofftes Wiedersehen
    In Falun in Schweden küsste vor guten fünfzig Jahren und mehr ein junger Bergmann seine junge hübsche Braut und sagte zu ihr: »Auf Sankt Luciä wird unsere Liebe von des Priesters Hand gesegnet. Dann sind wir Mann und Weib und bauen uns ein eigenes Nestlein.« – »Und Friede und Liebe soll darin wohnen«, sagte die schöne Braut mit holdem Lächeln, »denn du bist mein Einziges und Alles, und ohne dich möchte ich lieber im Grab sein als an einem andern Ort.« Als sie aber vor St. Luciä der Pfarrer zum zweiten Male in der Kirche ausgerufen hatte: »So nun jemand Hindernis wüsste anzuzeigen, warum diese Personen nicht möchten ehelich zusammenkommen«, da meldete sich der Tod. Denn als der Jüngling den andern Morgen in seiner schwarzen Bergmannskleidung an ihrem Haus vorbeiging, der Bergmann hat sein Totenkleid immer an, da klopfte er zwar noch einmal an ihrem Fenster und sagte ihr guten Morgen, aber keinen guten Abend mehr. Er kam nimmer aus

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