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Heimliche Helden

Heimliche Helden

Titel: Heimliche Helden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Draesner
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dürft es erzählen, wem Ihr wollt.« Deswegen hat’s der Herr dem Grenzacher erzählt, und das war die nämliche Uhr, die er oben auf dem Berg herauszog, als es in Hertingen Mittag läutete, und schaute, ob die Hertinger Uhr recht geht, und sind ihm hernach im Storken zu Basel von einem französischen General 75 neue Dublonen darauf geboten worden. Aber er hat sie nicht drum geben.
    Die schlauen Gespenster!
    Sie vermehren sich. Der Mann fällt in einen Keller, eine tiefe große Kiste. In ihr gibt es viele Richtungen sowie eine Reihe sehr realer, nun auch real bedrohlicher »neuer« Gespenster.
    Das ist wunderbar, es ist klüger als das Wissen. Die neuen Gespenster handeln nicht, sondern reden und rechnen. Zunächst führen sie einen vernünftigen »Diskurs« über das Schicksal des Reisenden. Nebenher bedienen sie ihre Maschinen: Falsches Geld wird ausgespuckt. Es ist nicht irreal, sondern fiktiv, hat einen Körper, doch keinen Wert. Eben das, was man nicht sieht, fehlt ihm. Es ist ein inverses Gespenst, wenn man so will.
    Die Falschmünzer handeln zeichenklug. Sie lassen den Reisenden laufen, weil sein Verschwinden zu viel Aufruhr erzeugte, also zu viel weiteres Sprechen. Am Ende kommt der Mann wirklich davon, da er versteht, sich auf die neue Ordnung einzustellen. Er verspricht zu schweigen und hält sich daran.
    Nicht Offenheit gibt den Ausschlag, sondern Tarnung. Der reale Kasten »Schloss« enthält den ummauerten Kasten »Keller«. Dort werden Münzen gedruckt, auf deren (Kästchen-)Flächen falsche Worte stehen. Um die Hülle aus Mauern haben die Münzer eine weitere gebaut: den Gespensterauftritt. Ein realer Körper, verkleidet als »irreal« – die exakte Spiegelung des Fälschungsvorganges, der irreale Geldkörper als real erscheinen lassen soll. Eine imaginäre Mauer. Als der Reisende sie durchdrungen hat, wird sie durch eine Mauer aus Worten ersetzt.
    Das Ende der Geschichte bestätigt, welche Meister diese Erfinder vor allem semiotischer Kästchen sind. Alle Zeichen, die im Schloss eine Rolle spielten, werden in der letzten Post ersetzt, die die Gespenster verschicken. Nicht die eigenen Pistolen erhält der Reisende zurück, sondern neue silberne, ebenso eine wertvolle Uhr, Pfeife und Tabakbeutel. Entscheidend aber ist der Brief: Er erlaubt dem Betroffenen, von allem, was er gesehen hat, nun endlich zu erzählen. Zeichenkundige Gespenster öffnen und schließen Münder. Nicht auf die Wertgegenstände kommt es an, sondern auf die Geschichte. Der Reisende hat das begriffen. Er verkauft die neue Uhr nicht, selbst gegen ein gutes Angebot, denn er braucht sie, wie Hebel, um sie als Unterpfand für die »Wirklichkeit« seiner Erzählung darzubieten. Tatsächlich ist das wunderbar komisch: der ausgehöhlte Rest einer alten Beglaubigungsstrategie. Denn was bewiese eine x-beliebige Uhr, die in der Erzählung selbst als Ersatz deklariert ist?
    Wertvoller Ersatz.
    Von Platzhaltern erzählt Hebel hier, von Verschiebungen. Niemand in dieser Erzählung ist, wer er scheint. So mag am Ende der echte falsche Groschen beim Leser gefallen sein: Ist der Reisende der Hausfreund selbst? Als gespensterkluges Gespenst?
    Doch – gleichviel! Allein die Erzählung zählt. Sie halte ich, als Leser, selbst in der Hand.
    Der Rekrut
    Ein Rekrut, dem schon in den ersten 14 Tagen das Schildwachestehen langweilig vorkam, betrachtete einmal das Schilderhaus von unten und oben, und hinten und vornen, wie ein Förster, wenn er einen Baum schätzt, oder ein Metzger das Häuptlein Vieh. Endlich sagte er, ich möchte nur wissen, was sie an dem einfältigen Kasten finden, dass den ganzen Tag einer da stehen und ihn hüten muss. Denn er meinte, er stehe da wegen dem Schilderhaus, nicht das Schilderhaus wegen ihm.
    Armer Rekrut, das geht nicht gut.
    Da wandert er ums Häuschen und spricht mit ihm. Armer Rekrut, Sonne im Blut. Ob er schon einen Stich hat, weil er nicht wagt, sich im Schilderhäuschen unterzustellen?
    Drei Texte in Hebels Kalenderprojekt tragen den Titel »Der Rekrut«. Nicht immer zählen die frisch Eingezogenen zu Hebels intelligentesten Figuren. Diese hier aber doch: Gleich zu Anfang wird dem Rekruten das Schildwachestehen langweilig. Das Haus (der Kasten) mag einfältig sein. Er ist es, entgegen des ersten Anscheins, nicht.
    Eigentlich darf er nicht sprechen. Und eigentlich, sprich historisch, hat er recht: Eine Schildwache wurde, wie der Name verrät, aufgestellt, um abgestellte Schilde zu bewachen. Da war der Mann für

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