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Heimliche Helden

Heimliche Helden

Titel: Heimliche Helden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Draesner
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wie einst – der Gegensatz macht das Bild. Jene aus der Zukunft wirken glatter, aber manchmal sieht er den Schrecken in ihren Augen. Ein Zucken, ein Splitter; es ist auch ein Licht. Sie scheinen ein wenig starr um die Lider, die Münder, hie und da zeigen sich kleine Narben hinter den Ohren.
    Das Wetter war umgeschlagen. In manchen Bergwerken trugen die Kumpel einen Vogel im Käfigkästchen am Helm. Er saß neben der Lampe, während man durch die Schächte kroch. Fiel der Vogel um, das Wesen mit den kleinen Lungen, galt »rette sich, wer kann«.
    Da liegt er vor ihr. Ganz Bild, für die anderen. Sie aber spricht mit ihm. Hört sie, was er zu ihr sagt: Warum hast du nicht besser gelebt?
    Worauf hast du gewartet?
    Hast nichts verstanden von der Zeit, die aus dem Kästchen springt?
    Der Erzähler bemerkt, dass er selbst zweierlei erzählt. Ein Beispiel der Treue und des Wahns. Ein Beispiel von Verschwendung und Zähigkeit. Zeit tötet und ist Geschenk.
    All die Zeit. Der rote Saum um das schwarze Tuch.
    Und sie? Rechnet um Sekunden: wäre er später eingefahren, oder früher, wäre er an einer anderen Stelle gestanden. Denkt es zum tausendsten Mal, so viele Gebete, Atemzüge, Atemlosigkeiten später. Denkt an all ihre Gespensterkinder?
    Er erinnert sie nicht an die Vergangenheit, er ist diese Vergangenheit.
    Eine künstliche Leiche.
    Ein Avatar eigener Art: Gerinnung und Gott.
    Hin und her ist sie geeilt, am Rand gestanden, fortgelaufen, sich selbst und der Erzählung entschwunden, wieder da. Das Bergwerk, der größte der Hebelschen Kästen, unheimlich, dunkel und von Menschen gemacht, das Bergwerk, diese Kreuzung zwischen Natur und Kunst, spuckt den Geliebten wieder aus, als wäre es eine sehr langsame Drehtür. So, erhalten und zerstört, legt es ihn ihr zu Füßen.
    Bleiben, gar ›bei sich bleiben‹.
    Was das meint?
    Eine seltsame jedoch wahrhafte Geschichte
    Zwei Schiffer fuhren frühmorgens den Strom herab, und der Tag war schon ins enge, stille Tal gekommen, als sie an der hohen Felsenwand, genannt die Riesenmauer, vorbeifahren wollten. Es steigen nämlich daselbst die Felsen fast senkrecht in die Höhe. Weit oben ist’s wie abgeschnitten, und der heilige Nepomuk, ob er gleich von Stein ist, meint man doch, es müsse ihm schwindlig werden, und es wird’s einem für ihn, wenn man hinaufschaut. Keine Ziege weidet an dieser Halde, kein Fußpfad führt den Wanderer hinauf oder hinab. Nur einzelne arme Tannen oder Eichen sind aus den Felsenspalten da und dort herausgewachsen, mehr hangend als stehend, und nähren sich, so gut sie können, vom Wasserduft und Sonnenschein. Als aber die Schiffer gegen die Felsenwand kamen, hörten sie ein klägliches Notgeschrei, und um einen Bugg herumfahrend, sahen sie mit Entsetzen, dass ein lebendiger Mensch in einsamer Todesnot und Angst auf einem solchen Eichstämmlein saß und sich mit den Händen an einem schwachen Ästlein festhielt wie ein furchtsamer Reiter am Kammhaar, und sah auch wirklich aus, als wenn er in die Luft hinausreiten wollte, unten Wasser, oben Himmel, vor ihm nichts. Aber der eine Schiffer verwunderte sich noch viel mehr, als er den Mann ins Auge fasste und erkannte. »Seid Ihr es, Herr Schulmeister, oder trügt mich ein Blendwerk?« Ja, es war der Herr Schulmeister, ein braver, unbescholtener Mann, den der Hausfreund so gut kennt als sich selbst oder seinen Adjunkt, ein Vater von drei Kindern.
    Der Hausfreund müsste sich sehr an dem geneigten Leser oder an seiner eigenen Beschreibung irren, wenn derselbe früher fragen sollte, was er doch nicht erfahren wird, wie der Mann auf diesen Baum hinaufgekommen, als vielmehr, wie er wieder herabgebracht und aus des Todes Angst und Not gerettet worden sei. Man holte die längste Feuerleiter im Dorf und stellte sie an dem schmalen Bort zwischen dem Strom und den Felsen auf. Sie reichte nicht hinan. Man band die zwei längsten aneinander und richtete sie mit unsäglicher Mühe und eigener Todesgefahr auf. Sie reichten nicht hinan. Es war schon 10 Uhr, und die Sonne schwamm über das Tal, als ob sie das seltsame Schauspiel auch sehen oder Mut und Hoffnung machen wollte zur Rettung. Man erstieg auf der andern Seite die Anhöhe, schlang das längste Seil, das zu haben war, um den heiligen Nepomuk und ließ es hinab, dass er es um den Leib binden, sich alsdann mit den Händen und Füßen gegen die Felsenwand stemmen und seine Auffahrt regieren sollte. Aber der arme Mann durfte mit den Händen den Ast nicht verlassen,

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