Heimliche Helden
Luzia ließ sich selbst durch Folter und Tod in der Christenverfolgung nicht von ihrem Gelübde der Ehelosigkeit abbringen
Johannis : St.-Johannis-Tag, 24. Juni, mit seiner christlichen Version der älteren Sonnwendfeste
Eisenvitriol : veraltet für kristallwasserhaltiges Eisensulfat, zum Färben verwendet
Nepomuk : Schutzpatron von Brücken, auch Schutzpatron des Beichtgeheimnisses
Bugg : Biegung
Kammhaar : Mähne
Habung : Halt
HELDEN DES KAMPFES UND DER BRUT
Schreibversuch über Jean-Henri Fabres Schreibversuch über einen lebenslangen Feldversuch
Nach Napoleon Bonapartes Definition ist Fabre ein Soldat. 24
Zäh. Überzeugt. Hingegeben.
Regeln allerdings bricht er, statt sie zu erfüllen: liegt reglos in brütender Hitze auf dem Boden, beobachtet stundenlang, beschreibt. Die Dorfbewohner halten ihn für verrückt. Alte Frauen zeigen auf ihn, gehen tuschelnd vorbei. Große Aufregung: Die gelbflügelige Grabwespe schleppt ein außergewöhnliches Beutetier an, um es in ihre Bruthöhle einzulegen.
Ich traue meinen Augen nicht! – Die Höhle ist in der Nähe: [Die Wespe] schlüpft hinein und legt die Beute ab. Ich setze mich, entschlossen, einen weiteren Streifzug abzuwarten – wenn nötig Stunden –, um zu sehen, ob der außergewöhnliche Fang wiederholt wird, und nehme die ganze Breite des Pfads ein. Zwei unschuldige Rekruten nahen, frisch geschoren, mit jenem unvergleichlichen einförmigen Aussehen, das die ersten Kasernentage mit sich bringen. Sie plaudern, reden sicherlich von zu Hause und ihren Mädchen, die sie zurückgelassen haben; beide schälen eine Weidengerte mit einem Messer. Ich kriege es mit der Angst zu tun. Ach, es ist nicht leicht, ein Experiment zu machen an einem öffentlichen Weg, wo – wenn sich ein seit Jahren beobachtetes Faktum zeigt – Passanten eine Gelegenheit, die sich vielleicht nie wieder bietet, behindern oder zunichte machen! Ich verziehe mich ins Gebüsch und gebe den schmalen Pfad frei. Alles andere wäre unklug gewesen. Sie zu bitten: »Meine Guten, geht hier nicht durch«, hätte es noch schlimmer gemacht. Sie hätten eine im Sand versteckte Falle vermutet; und es hätte Fragen gegeben, die nicht zufriedenstellend zu beantworten gewesen wären. […] Ich gehe also und vertraue meinem guten Stern. Aber ach! Der lässt mich im Stich: Der schwere Militärstiefel tritt auf die Decke der Grabwespenhöhle. Ein Schaudern überläuft mich, als hätte mich das Absatzeisen getroffen. 25
Da steht er, der hagere Mann mit dem breitkrempigen Malerhut, seinem Notizbuch und dem Sammelglas, besieht den Schaden (zertretene Höhle, verstümmelte Wespe) und beginnt wieder von vorn. Zwischen Steinen und Sand, Salweiden und Schilf, von Insekten umsummt.
Der doppelte Essai
Er lebt von 1823 bis 1915. Er glaubt an die Wahrheit seiner Beobachtungen. Er sieht sich angegriffen von anderen Zoologen, verteidigt sich gegen ihre sezierende Wissenschaft. Er sagt: Sie erforschen den Tod – das Leben erforsche ich. Er versteht etwas von Rhetorik, von Kindern (die er jahrelang unterrichtete, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten), von Insekten.
Insekten liebt er.
1879 schreibt Fabre: »Ich bin alt.« Von seinem Glück, noch 36 Jahre forschen zu können, kann er nicht wissen. Endlich hat er sich ein Grundstück in Sérignan-du-Comtat im Kanton Orange-Est gekauft, endlich widmet er sich nur mehr der Insektenarbeit. Den Bewohnern des Dorfes gilt er, der glücklich ist, als verrückt. Er beobachtet, er schreibt. Die Dolchwespen fliegen ein:
Schwarzer Pelz mit großen gelben Flecken; derbe Flügel, bernsteingelb wie eine Zwiebelhaut und purpurn schillernd; plumpe knotige Borstenbeine; kräftiger Körperbau; robuster Kopf unter hartem Schädelhelm; steifer unbeholfener Gang, niedriger, kurzer, lautloser Flug […] 26
Fabres Leben ist ein Essai ungewöhnlicher Art. Der Insektenfan stochert in Larvenbrei, studiert Metamorphosen, legt Versuchsreihen an, panscht Zellen, sticht mit Nadeln durch Insektengehirne, verbraucht Leben. Er entdeckt, lernt, stellt neue Fragen, schreibt und nimmt schreibend den Kreislauf zwischen Erden, Steinen, Mineralien, Wetter und Tieren in den Blick. Er wird zum Wegbereiter der Verhaltensforschung und der Ökophysiologie. Disteln überwuchern seinen Harmas (»Brachland« auf Provencal), Hautflügler durchschießen die Pflanzen wie Licht.
Fabres zweiter Essai ist versteckter, obwohl er offensichtlich zutage liegt, wenn man die Erinnerungen eines Insektenforschers liest.
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