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Heimliche Helden

Heimliche Helden

Titel: Heimliche Helden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Draesner
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Diese Kammern sind winzig, in die Erde gegraben, und alltäglich. Sie liegen, wie der Mond, vor unseren Augen, nur kann man sie um vieles leichter und kostengünstiger erschließen. Fabres zweiter Essai, der Schreibversuch, macht uns ein einmaliges Augenkino zum Geschenk. Im Lesen vergisst man, wie wenige Millimeter die beschriebenen Welten groß sind – und fliegt mit Worten in Erd- oder Steingänge zu kunstvoll gebauten Kammern, an Seidenfäden baumelnden Tieren, gut gefüllten Honigseen. Fliegt, den Souvenirs entomologiques ist es zu danken, zu den Wundern vor unserer Tür.
    Sprache auf dem Honigsee
    Fabres Darbietung der Insekten als Krieger passt zu unserer Wahrnehmung dieser alltäglichen und doch besonders fremden Tiere: Sie zeigen keine Gestik, keine Mimik, kein Gefühl. Wir können sie nicht individualisieren. Der glücklichste Bewohner Sérignans hingegen schreibt so über sie, dass wir die Fremdheit des Panzers vergessen. Wie er sie in menschliche Dramenschemata einstellt, Geschichten von Kampf, Überleben und Kriegsstrategien erzählt, Mythen zitiert, Fehler eingesteht – uns scheinbar unmittelbar am Forschungsprozess teilhaben lässt –, trägt wesentlich zu seinem Erfolg als Wissenschaftler wie Schriftsteller bei.
    Ein weiteres, tiefer verborgenes Moment tritt hinzu.
    Fabre ist sowohl was seine naturwissenschaftliche als auch seine narrative Herangehensweise angeht ein romantischer Aufklärer. In Blick und Sprache schwingen der Bildungskanon des Westens, der Glaube an die Helligkeit und die Überlegenheit der Vernunft. Ebenso stark aber bestimmen den französischen Privatgelehrten der Ausbruch aus den festgefügten Institutionen der sezierenden Rationalität und der Lobpreis alles Lebendigen. Diese Spannung setzt seine Suche nach Ausdruck in Gang. Hier schlägt das Herz des literarischen Essais. Insbesondere wenn der Forscher Versuche modifiziert, spürt man, wie Sprache auf der Fläche des Beobachteten Halt sucht – wie sie ihrerseits bestimmt und verändert, was gesehen werden kann.
    Der Feld-Essai des Naturwissenschaftlers ist von Versuch und Irrtum bestimmt. Meist will die Natur nicht, wie der Experimentator es sich wünscht. Die ihm hier abverlangte Erfindungsbeweglichkeit überträgt sich in seine Sprache. Fabres Prosa stellt einen der seltenen Fälle dar, an denen sich beobachten lässt, wie eine bestimmte Haltung gegenüber einem Ausschnitt der Welt erfordert, dass die auf diese Welt Bezug nehmende Sprache sich ihrerseits ändert.
    Das Ei der Pelzbiene schwimmt auf dem Honigsee, den die Mutter in die Wabe eingebracht hat. Sie legt das Ei ab, deckelt die Wabe zu, arbeitet nebenan weiter. Auf dem Ei sitzt ein kleiner schwarzer Punkt. Kaum ist der Deckel geschlossen, beginnt dieser Punkt über das Ei zu kriechen. Er sucht eine stabile Position, sticht zu. Eine Stunde später treibt der schwarze Punkt auf dem Boot der leer gesogenen Eischale über den Honig.
    Der Blick des Forschers gleitet in diese Dunkelheit, er arbeitet mit Lupen und Licht. Seine Sprache tastet dem Sehen in Metaphern (Boot), Anthropomorphisierungen (»sucht eine stabile Position« – was kann das heißen für eine millimetergroße Larve?), Verknüpfungen (die Mutter nebenan hört und fühlt nichts) und wirksamen Zeitraffungen (später) hinterher.
    Der Naturforscher ist angewiesen auf Präzision und mehrfache Übersetzung. Eine Wissenschaftssprache, Tierverhalten zu beschreiben, steht ihm nicht zur Verfügung; es herrschen Chemie und Totenanatomie. Er hingegen sucht eine Sprache für eine Wirklichkeit, die wir gemeinhin nicht sehen, die aber an uns grenzt. Fabre beginnt, Wissenschaft zu erzählen. Der Stoff dieser Wissensprosa ist immer doppelt: »Natur« und der eigene Weg, als Mensch, in Sprache, darauf zu.
    Fast hört man ihn. Genauer: Der Insektenenthusiast versteht so zu schreiben, dass man vermeint, ihn sprechen zu hören. Da liegt er im weiten steinigen Feld, allein, mit Sonnenhut, auf der Suche nach einer neu zu erfindenden Balance zwischen Nähe und Kontrolle, Augenschein und experimenteller Wiederholung. Da sitzt er zu Hause am Schreibtisch, vor sich am Fenster Kästen mit Brutwaben und kriechenden Larven, hinter dem Glas den sonnendurchfluteten, summenden Harmas. Die Bedingungen des Schreibens und Sehens werden ihrerseits zu einem Bestandteil des nächsten Insektenversuchs. Fabre fahndet nach präzisen Um-Kleidungen des Vermutet-Gesehenen in Sprache und Begriff, Handlung und Menschenzeit, und lässt die

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