Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Heimliche Helden

Heimliche Helden

Titel: Heimliche Helden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Draesner
Vom Netzwerk:
Schwierigkeiten der Übersetzung immer wieder aufscheinen. Diese Brechung macht die Lektüre angenehm und aufregend auch in einem literarischen Sinn.
    Sowohl der Feld- als auch der Schreibversuch sind verschiedensten, auch historischen Spannungen ausgesetzt. Die rhetorische Aufarbeitung der Insektenbeobachtungen kann kein »unschuldiger« Vorgang sein. Über die Wahrnehmung des Brückenhelden aus Sérignan beginnen wir, uns selbst in den Insekten und ihrer fremden Welt zu spiegeln. Zum einen kommt dies dem Autor zupass: Er schreibt »beseelt« – sein Glaube an das christliche Buch der Natur, die innere Verbundenheit und Wohlgeordnetheit der gottgeschaffenen Welt trägt ihn. Zum anderen will ihm die von Darwin und seinen »Transformisten« postulierte Verwandtschaft des Menschen mit dem »grässlichen Gorilla« gar nicht schmecken.
    Durch Beobachtung, Reflexion und Experiment im Studierzimmer hat Fabre herausgefunden, dass die Grabwespe die Raupe, die sie ihrer Brut vorsetzen will, durch gezielte Stiche in Nervenzentren zwischen den Brustsegmenten außer Gefecht setzt. Aber wie, fragt er, kann sie ihre Stiche so präzise platzieren, dass das Beutetier gelähmt ist (die zarte Larve nicht verletzen kann) und trotzdem lebendig bleibt? Der Nachwuchs der Wespe braucht, auch dies erforscht er, frisches Fleisch. Bei der Dolchwespe lassen sich ähnliche, der Umwelt und dem Futterangebot angepasste Brutspezialisierungen feststellen, die erstaunliche Kenntnisse der Wespe über die Nervenanatomie der Beute voraussetzen. Fabre korrespondiert mit Darwin. Wie kann »survival of the fittest« das Entstehen einer derartigen Spezialisierung erklären? Sie ist bei der Jägerin sogar in die Anatomie eingegangen. Kritisch hinterfragt Fabre, wie Verhaltensweisen in genetische Codes umgeschrieben werden, wie lange dies dauert, unter welchen Bedingungen es möglich sein soll.
    Zu viele Zufälle, so der Insektenforscher, mischen sich bei den Darwinisten ins Spiel. Ein weiteres ambivalentes Phänomen: Werden die Wespen bei der Brutablage einmal gestört, können sie die Handlung nicht wieder aufgreifen. Ein Weibchen fliegt mit der mühsam erlegten Beute an, tastet verwirrt vor der vernichteten Höhle, gibt die Beute auf und beginnt anderswo die gesamte Arbeit von vorn. Instinkt scheint eine fixe Kette hochkomplexer Handlungen zu meinen, die abläuft, ohne dass das Insekt selbst die Reihenfolge begreift. Es exekutiert sie nur.
    Keinerlei Kenntnis also, nur Steuerung.
    Wäre da nicht das Ende der Brutzeit. Fabre fällt abweichendes Verhalten auf: Einige Dolchwespen räubern fremde, bereits fertiggestellte Zellen, führen ein paar Instinktschritte in Minimalform aus, legen das eigene Ei hinein. Hier vermutet er, spannend zu lesen, nun doch Zwischenstufen der Evolution. Suchend bewegt der Autor sich und uns in Gefilde der Überschneidung von Wissen und Interpretation – von Sehen, Verstehen und Ver-Sehen. Die Skala der Naturerscheinungen gleitet. Die Interpretation muss sich anstrengen, mit ihren Uneindeutigkeiten und Ungleichzeitigkeiten, mit der Endlosigkeit der Erscheinungen mitzuhalten. Essai.
    Erzählen vom Tier
    Das Wissen des Entomologen baut sich über Jahre auf, seine Versuche ändern sich. Der Harmas flimmert, Licht und Worte durchleuchten seinen sandigen Boden. Der Autor selbst staunt über manchen Fund, der Leser hält mit ihm den Atem an, zwischen ihnen schwirren Insekten. Welche Brutalität des Fressens und Gefressenwerdens, welche Ausweglosigkeit, welche Gier.
    Die Ammophila lässt ihr Wildbret los. Sie legt sich flach auf die Erde, macht wilde, unkoordinierte Bewegungen, rollt sich auf die Seite, zuckt, zappelt, flattert, als ob sie sich in Lebensgefahr befände. Ich fürchte, die Jägerin hat einen üblen Schlag abbekommen. Ich bin erschüttert, weil ich den wackeren Hautflügler so erbärmlich enden sehe und ein Experiment scheitert, das mich Stunden des Wartens gekostet hat. Aber da beruhigt sich die Ammophila, bürstet ihre Flügel, frisiert die Fühler und geht wieder in Angriffshaltung. Was ich für Todeskrämpfe hielt, war nur ihr Siegestaumel. Der Hautflügler hat sich auf seine Weise dazu beglückwünscht, das Monster bezwungen zu haben. 27
    Die Stelle spricht Bände. Ihr Verfasser überträgt menschliche Gewohnheiten und Möglichkeiten unter Projektion eines psychischen Apparates auf die Sandwespe, die aus anderen Gründen (Krankheit, Erschöpfung) umgefallen sein mag. Fabre steht damit in einer langen, nicht

Weitere Kostenlose Bücher