Heimliche Helden
auszudrücken, auch wissenschaftliche Wahrheit, ohne Jargon, indem er Fragen stellt, Fehler eingesteht, als beschränkter Mensch eifrig schielt – auf die Insekten und den Leser, auf Wahrheit und Erzählung, auf Faktum und Interpretation.
Faction. Zu Fabres Zeit stehen jene Experimente der Physik noch aus oder werden eben erst durchgeführt, die die klare Scheidung zwischen Beobachter und Beobachtetem für immer ins Reich der Fiktionen verweisen. Noch weiß die Welt wenig von den Wechselwirkungen zwischen Subjekt und Objekt. Auch der Autor der Erinnerungen ist ein Kind seines Jahrhunderts, das an Fakten glaubt, sich auf experimentbestätigte Tatsachen beruft. Beobachtung ist neu, sie ist ein Gott. Fabres Hinwendung zum lebenden Tier, zu Fragen nach Verhalten, Brutpflege und Reproduktion, verändert die biologischen Wissenschaften nachhaltig. In der Gesamtanlage seines Schreibens ist Fabre klüger als in manchem seiner Sätze. Häufig genug beobachtet er, wie die »Natur« eine genaue Anpassung des Greifwerkzeuges an die Beute bereitstellt. Ihm gelingt die Anpassung einer wissensbezogenen Sprache an die Begeisterungsfähigkeit des Lesers.
Er assoziiert »Pantheon« und geht einen Schritt weiter. Metaphorisiert die »Sachverhalte« der Natur und schneidet die Eikuppel auf. Sprache und Faktum, Sprechbarkeit und Sichtbarkeit geraten immer enger an- und ineinander. Das mag verwirrend scheinen, trifft indes eine Wahrheit zweiter Art: Jeder gesehene und erzählend verfolgte Naturbefund ist Faction – ein Stück Verschmelzung zwischen Betrachter und Tier.
Und Fabres Ziel?
Ein perfekter Tag im Feld, auf der Wiese. Unendliches Brummen, Fliegen, Schwirren. Unüberschaubar, zerteilt, in kleinen und kleinsten Formen um die gesamte Welt gespannt: verschwenderisch, tödlich, brutal und schön.
Die Larve des Pelzbienenkäfers öffnet das makellos weiße Ei, schlürft es aus. Für zwei reichen weder Honig noch Platz. Alles wird verwertet: Das Bienenei ist erste Ration und Rettungsboot. Dann platzt die Larvenhülle, aus der schwarzen Larve tritt die zweite Verwandlungsstufe der Sitaris, weiß und groß, die nun selbst auf dem Honig schwimmt, die frisst, erneut schlüpft, wartet, sich einnistet, zeugt und stirbt. Immer allein, immer für sich.
Tag in der Wiese, im Labor. Aus dem Flimmern, aus der Stille: notieren, sachlich sein. Unterirdische Höhlen, bewegte Atome, hellweiße Eischalen auf dunklem Honigsee. In Sprache und Wahrnehmung gebaut, bis das Paradox gelingt: sachliches Schwärmen.
Liebend, gedankenhaft.
24 »Die beste Eigenschaft des Soldaten sei«, sagt Napoleon, »dass er ständig Strapazen erträgt.« Tapferkeit, fügt der französische Kaiser hinzu, sei »nur der zweite Vorzug«. Zitiert nach Bernhard Viel, »Jean-Henri Fabre: Erinnerungen «, in: Jean-Henri Fabre, Erinnerungen eines Insektenforschers IV , Berlin 2012, S. 309
25 Jean-Henri Fabre, Erinnerungen eines Insektenforschers I , Berlin 2010, S. 111f.
26 Jean-Henri Fabre, Erinnerungen eines Insektenforschers, III, S. 7
27 Fabre, Erinnerungen eines Insektenforschers , II, Berlin 2010, S. 27
28 Fabre, Erinnerungen II, S. 55
29 Fabre, Erinnerungen II, S. 70
30 Fabre, Erinnerungen II, S. 244
SCHÖNEN, SCHREIBEN, SCHIESSEN
Tania Blixen: Das Ich und sein Ort – eine afrikanische Lektion
»Ich hatte eine Farm in Afrika am Fuß des Ngong-Gebirges.« 31
So schlicht und genau beginnt Blixens autobiographischer Roman. Alle Protagonisten sind benannt: Ich, Farm, Gebirge, Afrika. Benannt auch der Inhalt, das Leben auf einer Farm. Für die Zeit, zu der es sie gab, 20 Kilometer von der Hauptstadt Britisch-Ostafrikas entfernt. Heute liegt dort ein gutes Wohnviertel Nairobis, das Karen heißt.
Tania Blixen. Was für eine Autorin: liebt Gewehre, schießt lustvoll Löwen, hat »Neger«, einen Ehemann und Affären, reitet quer durch die Wüste den Männern nach in den Krieg, heißt Karen, Tania oder Isak, je nach Bedarf, schlägt sich von 1914 bis 1931 auf einer Farm »mitten im Busch« durch, tauscht abends das Schießgewehr oder die Rechenmaschine gegen den Stift und schreibt.
Hübsches Bild. Der Film Jenseits von Afrika inszeniert es opulent und hollywoodgemäß: großartige Naturkulisse, romantische Liebes- und Lebensläufe, alte Kolonialisten, dramatisches Ende. Das Buch hingegen oszilliert: Vielschichtig weist es in verschiedene Richtungen. Die Frau als Heldin. Aber gibt es das? Und »gegen« wen oder was?
Was für ein Leben also? Und wie stellt er sich
Weitere Kostenlose Bücher