Heimliche Helden
Frage,
dein Wort, dein Himmelslicht, das du besaßt?« 71
In einer wie es scheint bescheidenen Geste ersetzt der Dichter schließlich »Himmel, Liebe und Grab« durch – den Satzbau. Welch Gedanke: Das große Lebensgeheimnis des Menschen, verborgen in trockener Grammatik? Und welche Liebeshoffnung zugleich.
Hier raunt nichts, im Gegenteil, der Prosaduktus des Gedichtes Vom Satzbau und die Stringenz, mit der es seinen Gedanken verfolgt, Pausen setzt, den Satzbau seinerseits nutzt, machen in kleiner Geste Liebe zur Sprache als exaktes Nachfragen und Hören fühlbar. Wie einfach der Ausgangspunkt: »Warum drücken wir etwas aus?« Und wie einfach und eindringlich die nach einem langen Schreibleben gefundene Antwort: »Überwältigend unbeantwortbar!« 72
Auch in diesem Liebesraum stößt das wahrnehmende Ich der Gedichte (und mit ihm der Leser) auf die eigene Zeitlichkeit und das Flimmern der Wirklichkeit. Und wofür? Kunst mag diese Wirklichkeit hinter sich lassen – welche Freiheit liegt darin, welcher Verlust? Schatten und Nuancen der Liebe flimmern im Wägen des Wortes »überholt« und seiner Bedeutungen, die sich entfalten, wenn man das Gedicht Ideelles Weiterleben in Ruhe ein zweites Mal liest und aus diesem letzten Wort heraus versteht. Benn bezeichnet es als »schnell geprägt«; dennoch gelingt es ihm, die alte Hoffnung, die Welt sei mit Worten zu treffen und – wenigstens für einen Augenblick – zu halten, noch einmal auf den (Gedicht)Plan zu rufen.
Bis es gilt, sich zu verabschieden. Freudig und glücklich im Rückblick auf Vergangenes, für das Heute melancholisch durchkreuzt, blickt Benn auf die Welt und sich. Seine schönsten Gedichte handeln von Flüchtigkeit und Vergänglichkeit, vom Wandel der Zeit, die durch Pflanzen und Menschen rinnt, durch alle Lieben und das Ich. Da sitzt sie mit einem Mal, ganz unverhofft, »little old lady /in a big red room«, einem Schlager entstiegen, gesummt von Marion Hearst. Es ist spät in dem Gedicht Spät , das Rot aller vergangenen Blumen kehrt in allen Schattierungen der Intimität und des Versprechens wieder. Spät ist selbst ein Lied, eine Übung im Montagestil – Benennungs- und Lügenkunst in jedem Atemzug.
[…]
soviel Lügen geliebt,
soviel Worten geglaubt,
die nur aus der Wölbung der Lippen kamen,
und dein eigenes Herz
so wandelbar, bodenlos und augenblicklich –
soviel Lügen geliebt,
soviel Lippen gesucht
(»nimm das Rouge von deinem Munde,
gib ihn mir blass«)
und der Fragen immer mehr – 73
Ja, da sitzt sie, little old lady: die Liebe in einem großen roten Raum. Er ist vieles: Bordell, Übergang zwischen Leben und Tod, ein Niemands- und Jedermannsreich auf dem Weg ins Heim-Wohin, das Herz selbst.
»Durst, Zärtlichkeit, Erobern, Verlieren«, sagt Benn.
Die Räume, so der Dichter, sind leer, aber noch vorhanden. Scheinbar mühelos kommen Körper, Sexualität, eigenes Erleben und Altern in der letzten Frage des Gedichtes zusammen: »alle weinen – siehst du es nicht?«
Kommen zusammen in dem berührenden, sich wie von selbst einstellenden Bild: Da sitzt er noch einmal, Gottfried Benn, little old man in a big red room, gesungen von sich selbst.
63 Holger Hof, Gottfried Benn. Der Mann ohne Gedächtnis. Eine Biographie , Stuttgart 2011, S. 383
64 Gottfried Benn, »Viele Herbste«, in: Sämtliche Gedichte , Stuttgart 1998, S. 271, und: Gottfried Benn, Liebesgedichte, Auswahl und Nachwort Ulrike Draesner, Stuttgart 2012, S. 12
65 Hof, S. 383
66 Hof, S. 347
67 Sämtliche Gedichte , S. 317
68 Sämtliche Gedichte , S. 298
69 Sämtliche Gedichte , S. 320
70 Sämtliche Gedichte , S. 277
71 Sämtliche Gedichte , »Abschied«, S. 221
72 Sämtliche Gedichte , S. 238
73 Sämtliche Gedichte , S. 310 f.
DAS VALENTIN
Wer das Valentin einmal entdeckt hat, erkennt es immer wieder, auch wenn es nicht von Valentin kommt. Der Komiker aus der Münchner Au hat es nicht einmal erfunden, nur perfektioniert, und manchmal möchte man denken, dass Komik im Deutschen einen K-Tick hat: Sie liebt Körperliches, braucht Konkretes, und heißt in einem ihrer besten Fälle Karl und Karlstadt. Der menschliche Körper ist bereits an sich eine Kwelle schönster Komik, auch hier haben Liesl und Karl einiges zu bieten. Was für eine natürliche Ausstattung, was für ein »Pfund«, mit dem sich wuchern lässt, allemal zu Beginn der »dünnen Karriere« des Valentin Fey: »Ich hab doch, wenn ich auszogen bin, so Rippen da rüber, quer rüber, mich hat halt früher
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