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Heimliche Helden

Heimliche Helden

Titel: Heimliche Helden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Draesner
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kurz, dem hängt die Zunge heraus!«
    Valentin lief gern mit seinem Hund durch den Wald, im Schlepptau Liesl, die im echten Waldleben so wenig Karlstadt hieß wie Valentin Karl. Der Hund aber hieß Bobsi und ist noch das realste dieser drei Wesen, denn die beiden Menschen sind Bühnenfiguren. Während Elisabeth Wellano alle möglichen Rollen als Valentin Feys Partnerin spielt, spielt Fey vor allem »sich selbst«, nämlich die erfundene komische Figur Karl Valentin, die ihm so sehr Haut, Knochen und Ich wird, dass kaum einer ihn davon unterscheidet.
    Manchmal vergisst er den Unterschied selbst.
    Wer in einem als Autor, Ausführender, Regisseur, Vermarkter, Werbemann, Bühnenausstatter und -bildner, Erfinder und Gesamt-Idealist fungiert, muss sich nicht wundern, wenn er sich am Ende, also sehr bald, als jenes Feuer wiederfindet, das die Suppe zum Brodeln bringt, und zugleich in eben dieser Suppe schwimmt. Was immerhin ein lustiges Spektakel für die anderen abgibt. Für den, der es hervorbringt, ist es das Lustigste überhaupt oder auszehrend oder beides: Man sehe sich den Valentin nur an. 98 Pfund Lebendgewicht. Und diese Knie!
    Dreierlei, mindestens, muss zusammenkommen, um ein Valentin zu erzeugen: das Gestell, die Stimme, die hören lässt, woher sie stammt, sowie scharfes Ansehen und Be-Sprechen eben jener Welt unumstößlicher bayrischer, also menschlicher Tatsachen, in der wir alle uns gern, gut angelernt und versichert bewegen. Hier macht der kleine Dreh den Unterschied: Nicht der Hund lässt die Zunge heraushängen, sondern die Zunge hängt dem Hund heraus, der für seine Zunge zu kurz ist. Wir lachen, überrascht von der frappanten Logik eines Blickes, der den Schleier des Immerschonwissens (Hunde hecheln) mühelos von der erlebten Wirklichkeit zieht. In aller Kürze. Auf diesem gewitzten Lachen baut das Valentin auf, wirft aber, um sich zu steigern, eigenhändig ein zwei »extrige« Elemente in die Szene, bis man erheitert verzweifelt und verzweifelt heiter ist, als werde soeben die eigene Zunge zu lang für den Mund.
    Womit der Kreis sich fast schließt. Oft heißt es, die Gesamtwirkung Valentins erfasse bestenfalls halb, wer Valentin liest, halb, wer ihn höre, und nie vollständig, wer ihn nicht improvisieren sah. Das ergibt valentinsch konsequent drei Hälften. Ermutigt leite ich sogleich zwei »hoalbate« Hypothesen ab: Das Valentin-Komische pflegt ein intensives Verhältnis zu (scheiternden) Bewegungen. Es gelingt, wenn es saublöd wird, was die Valentinsche Eigenkategorie für das Realnehmen des Anscheins ist. Dieses Komische folgt zweitens den Regeln der Poesie: Es lebt von Knappheit und Präzision, versteckt dies aber nicht selten, schlingert und mäandert also scheinbar ziellos. Dies indes präzise! Es besteht (ja, ich mache immer neue Anläufe, um es zu fassen, ganz wie ein Hund hinter einem an die Schnur gebundenen Wurst- oder Valentinzipfel her) – aus Klugheit, die versteckt wird, damit das Saublöde herauskommen kann. Nun gehört zum Saublöden am Saublöden, dass man es einem Bayern nicht zu erklären braucht und jemandem, der kein Bayer ist oder nicht wenigstens einige Male von Echtbayern als saublöd betitelt wurde, nicht erklären kann. Das macht uns hier aber nichts: Denn mit Valentin kann man es hören, sehen, verfolgen.
    Valentin, alias Buchbinder Wanninger, möchte die bei ihm bestellten, nun fertiggestellten Bücher bei seinem Auftraggeber abgeben. Er ruft an, wird verbunden, vertröstet, weiterverbunden etc. Bald weiß Wanninger nicht mehr, wie er heißt noch was er will, stottert, telefoniert zwei Druckseiten lang – Komik besteht (auch) aus Wiederholung. Als er endlich mit der richtigen ›Stelle‹ spricht, wird er abgespeist, weil die Bürozeit soeben endet.
    So Länge und Rhythmus des Stücks. Noch fehlt das valentinsche Ende. Es besteht aus zwei Worten; sie sitzen so richtig, dass man sie hören kann, auch wenn man nur liest, und treiben die Sache ein kleines, entscheidendes Stück weiter: Wanninger gebührt das letzte Wort. Es taucht den gesamten vorangehenden »Dialog« noch einmal ins Licht der Höflichkeit, Fassadenerzeugung, Untertänigkeit – und reißt all dies fort: »Saubande, dreckade!« 75
    Widerrede …
    Valentin lebt, wie könnte er anders, in seiner Zeit – umgeben von ihren Normen, ihrer Politik, ihren Medien (Plattenkameras, Film, das aufkommende Radio) und einer öffentlichen Moral, die bereits alle Ausdrücke mit dem armen Verb »machen« strengster

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