Heimliche Helden
Selbstauskunftsliteratur, das wortreich zu rechtfertigen sucht, wo wenig zu rechtfertigen bleibt. Hart will Benn nun schreiben; Montagestil, Schlager, Slang und Journalistisches sollen unvermittelt nebeneinanderstehen. Der Mensch der Gegenwart, so der Dichter, sei eine Mischung animistischer Rudimente und neuer technischer Realität. »Über – Liebe … kalt u. cynisch, aber gut.« 65
Höhen und Tiefen der Liebesfahrt. Benn folgt seinem Programm. Und handelt ihm zuwider. Es gelingt ihm, aus der »Rosenrotte« Funken zu schlagen. Am Klischee und seiner Belebung zeigt sich, wer er als Dichter ist. Man spürt die Sprachensuche eines Mannes, der an historische, anthropologische und zerebrale Wahrheiten glauben will, an Sinn und Richtung der einen großen, eurozentrischen, männlichen, weißen Geschichte – und der all dies zerbrechen sieht. Sehr höflich soll er aufgetreten sein, fast schüchtern, in unauffälligem Bürgeranzug. Kräftiger, aber nicht pressender Händedruck. Herta, seine zweite Frau, meinte, ihn zu lesen komme jedes Mal einer Gehirnmassage gleich. Ilse, rosenerfahren, brachte ihren Mann als »transcendente(s) verderbenbringende(s) Gemisch von Intelligenz u Sinnlichkeit« 66 auf den Punkt. Jungen Frauen überreichte er Blumen – und kam zur Sache. Veilchenstrauß, Hotelzimmerbesichtigung. Bevor er sich die Mühe machte, jemanden kennenzulernen, versicherte er sich, ob die Informationen über das Äußere (jung, schlank, hübsch) wirklich zutrafen oder fragte unverblümt die Betroffene im Brief gleich selbst. Der Begegnung voraus oder hinterher schrieb er erotische Gedichte, die ersehnen, preisen, sich verabschieden, zu neuen Lieben aufbrechen – in einem Atemzug.
Frauen, Liebe, Vielgestalt
Lebenserfahren, begabt mit Witz und einer Portion Abstand von sich selbst, sitzt der über Sechzigjährige im Darburg, seinem Lieblingslokal am Bozener Platz, bei geliebtem Bier und liebt – das nächste Substantiv. Exklusiv aus Substantiven sollte das ideale Gedicht bestehen. Denn Hauptwörter weiß Benn sowohl als sprachliche Haltegriffe als auch als Schleudern zu benutzen: »benachbart ein Paar im Ansaugestadium« ( Notturno ). »Ausdruckskrisen und Anfälle von Erotik: / das ist der Mensch von heute, / das Innere ein Vakuum« ( Fragmente ).
Das trifft und geht, wie die Zeilen aus Teils – Teils ,über Rhythmus und Anschaulichkeit in den Kopf:
die Damen unbefriedigt
wenn ihre Sehnsucht Gewicht hätte
wöge jede drei Zentner. 67
Geist und Körper, Zynismus, Atheismus, Gefühlssehnsucht, Gefühl. Jazz, Drogen, Frauen, Kavalier. Sex schmilzt über in Trance schmilzt über in Entblößung und Dunkelheit. Post coitum omne animal triste est. Benns Lebensbogen spannt sich von 1886 bis 1956. Ladies, Stepgirls, Vamps. Wie lange dauert der Reiz? Wo eröffnen sich aus dem körperlichen Erleben – »ich will ein ausgeschlenkertes Meer sein, du Affe!« ( Café des Westens ), aus dem Verlust des Paradieses, Möglichkeiten der Selbsterneuerung trotz, nein, bei aller Vergänglichkeit?
Doch ist die Liebe, die Benn so giftig-griffig, schwankend zwischen Wiederholung, Ödnis, Gier und Lust, in Szene zu setzen weiß, nicht das alles beherrschende Thema dieses Dichters. Ihn zieht der Lauf der Welten an. In den Jahren 1933 und 1934 glaubte er an Rassenüberlegenheit, einen angeblich notwendigen Untergang. Den Ersten Weltkrieg hatte er als Zerstörung von Männlichkeit und Ichintegrität erlebt. Der Mann, der mit Vorliebe von Jahrtausenden, Geist und Gehirn sprach, lag zwar nicht gern allein im Bett, zeigt sich aber in Gedichten und poetologischen Essays mit melancholischem Stolz in der Rolle des Verlassenen und des Verlassers, auratisiert von Einsamkeit. Die Selbststilisierungen als Dichter-und-Mann lassen sich deutlich heraushören, zugleich setzen die Gedichte intensive Spannungen um: Sie erzählen von unserem inneren Mehrfachleben.
Aufschlussreich ist, was fehlt. Benn hatte eine Tochter und einen Adoptivsohn, nach dem frühen Tod der ersten Frau wuchsen die Kinder bei einer Ex-Geliebten in Dänemark auf. In Gedichten kommen sie nicht vor. Auch die Ehe, immerhin war der Dichter dreimal verheiratet, erscheint in seinen literarischen Texten selten. »Ehewidrigkeit«, Streit und die unglückselige Treue. Mit der Liebe tut Benn sich nicht leicht, sie ist ein schöner Vogel – zumindest auf Französisch: amour, bel oiseau. In der Muttersprache der Mutter, die als einziges Familienmitglied in zwei Gedichten eine Rolle
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