Heimliche Helden
meine Mutter zum Meerrettichreiben hergnommen.« 74
Bei Valentin ist jeder Satz szenisch gedacht. Gern leiten ein Pastiche oder eine Parodie auf eine bekannte Melodie die frühen Bühnenmonologe ein, immer konsequenter wird jede Szene in eine Übertreibung hinein ausgeleuchtet. Da ist einer am Werk, der menschliche Aktion und Reaktion nicht anders als vierdimensional begreifen mag, als ein Stück auf einer Bühne, also in Raum und Zeit, sodass sich, wenn man einen Aspekt übertreibt, alles verformt, und am Ende zwei fortgeschrittene Gestalten eines komischen œuvres entstehen, Karlstadt und Valentin, kugelrund und lattenmager, die als vollkommen »natürliche« Ereignisse eben dieses verzogenen Raumes gelten können. Die besondere Deckung von Figur und Verzerrung macht die Bühnenaktion so »authentisch«, Valentin und Karlstadt werden ihr eigenes wandelndes Aktionsmaterial.
Damit sind indessen erst die Voraussetzungen für ein Valentin geschaffen. Das der Valentinschen Komik eigene, ihr »Extriges«, ist ihre Sprache. Fast versteht sich das von selbst, auch wenn die Jahrmarktskomik des Valentinschen »Gestells« in der Bühnensituation stark gewirkt haben muss. Sprache meint in Valentins Fall immer beides, Gesprochenes wie Geschriebenes – Stimme und Wortbedeutung, Absatz und Folge. »Sprache« meint Rhythmus und die Art des Wechsels zwischen den Sprechenden, meint Sprünge in Logik und Perspektive.
Wer glaubt, dass Komik einfach sei, geht Komik, die einfach scheinen will, auf den Leim. Gefordert sind Glaubwürdigkeit, treffender Blick, Eigenheit. Nicht wenige Witze werden nach dem Prinzip aufgebaut, »komisch ist, wenn es weh tut«, weil im absurd Absurden jenes Lachen am schönsten aufkommt, das Schmerz lindert und durch Kitzeln der Leber Läuse vertreibt. Weh tut das Zuhören bei Valentin und Karlstadt fast ständig, obwohl Karlstadt in der Regel die Stimme der Vernunft spielt oder wenigstens jene des gemeinen Menschenverstandes, dies freilich »gemein« und in jedem Fall valentin-liebend, nämlich alles Valentinsche fördernd. Karlstadt lässt sich auf die Erlebnisse und Argumente des eigensinnigen Gegenübers ein.
Wer nicht weiß, dass Unglück und Komik zusammengehören, hat von Komik nichts verstanden (und vom Unglück nur einen Teil). Ihr Wesen ist spannungsreich, in sich verknäult, ein Gestrüpp. Tolstois Roman Anna Karenina beginnt mit dem berühmt gewordenen Satz: »Alle glücklichen Familien gleichen einander, jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Weise unglücklich.« Diese Beobachtung lässt sich übertragen: Alle glücklichen Figuren gleichen einander, komisch hingegen ist jeder auf seine eigene Weise. Das glückliche Unglück Valentins sind seine Gestalt, die roten Haare, die Sommersprossen sowie das ständige schiefe Passieren, das ihm so passiert, dass, was auch immer passiert, ein Missgeschick wird, das sich im Zusammenprall des nasenbetonten Kopfes sowie des daran hängenden Körpergestells mit den »Tatsachen« der passierenden Welt sofort zu größerem Missgeschick und absoluten Unmöglichkeiten weiterreden lässt. Um diese verbale Unglückssteigerung und Ent-Deckung der Wirklichkeit voranzutreiben, braucht es allerdings Übung, Geduld und Partnerschaft. Valentins beste Texte sind vielfach gestaffelte Interaktionen: Sie sprechen das Publikum an, bieten Unterhaltungen mit dem Bühnenpartner und (versteckte) Selbstunterhaltungen. Immer sind sie Rede und Gegenrede, Gegenreden der Vernunft, Reden, die das eigene Saudummsein zulassen, das alle amüsiert, weil sie es als Rundumdummsein erkennen.
Nicht zufällig entwickelt das Valentin sich am besten im sogenannten Dialog, also zwischen mindestens zweien. Das gilt nicht nur auf der Bühne, sondern auch für Valentin Fey als Autor. Seine Texte erfand er Schicht um Schicht im Ausprobieren von Rede und Widerwort gemeinsam mit Liesl Karlstadt. Man half sich und dem Witz gegenseitig auf die Sprünge. Kein Wort zu viel, keines zu wenig. Kurze Texte sind gnadenlos, sie müssen exakt getaktet sein, allemal, wenn jemand laut lachen soll. Das Duo Valentin-Karlstadt »hört sie ausprobieren« und bringt sich vor allem in den Arbeiten der zwanziger Jahre zu schräger, stolpernder Perfektion. Sie merkt sich die Texte, und er kann sie nur, wenn er sie (Karlstadt) ansieht, wenn er sie (die Szene) agiert. Erstes Ergebnis: Saublöd sein kann man gar nicht allein.
Wenn das mal nicht saublöd ist.
Wenn das mal nicht tröstlich ist.
»Dein Hund ist zu
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