Heimliche Helden
spielt, lässt sich das für ihn sagen.
Bitte wo –
Wenn du noch Sehnsucht hättest
(bitte wann, bitte wo),
dich noch mit Küssen kettest
(amour – bel oiseau),
wenn du noch flügelrauschend
über den Anden schwebst
dich in zwei Meere tauschend
ahnungslos, wen du lebst,
wenn noch die Qualen sprechen,
Tränen durch bel oiseau
dich stürzen und zerbrechen –
bitte wann – bitte wo? – 68
Liebe sucht »Bindung, Glauben, Halten, Innigkeit« ( In einer Nacht). Wie zurückhaltend und vorsichtig Benn hier im Vergleich zu den erotisch-sexuellen Gedichten spricht. Gleitend finden sich Sexualität und Seele verbunden, Körpererfahrung und Gefühl. Liebe zeigt sich auch als Erinnerung, als Nach- oder Vorgriff, als Un-Zeitigkeit. Ihr sprachlicher Modus scheint der bildliche Nachgedanke, das Nachfühlen der paradoxen, zugleich aufhebbaren und unhintergehbaren Zeitverbundenheit allen Erlebens. Wer sich auf den schönen Vogel Liebe einlässt, wird in zwei Richtungen geführt. Liebe außerhalb des Bettes reicht an »Ungeheures« und die »tiefen Dinge, die die Seele weiß«. Sie bedeutet Leid und Licht. Die Gedichte gehen in ruhigeren Rhythmen; sie berühren, als wäre das selbstverständlich, Ichauflösung und -zerstörung. Der schöne Vogel fliegt in höchsten Höhen über den Anden, er weiß nicht wohin. Liebe, die über das Bett hinausreicht, bleibt riskant, sie weckt Träume von Ewigkeit, die sie nicht zu erfüllen versteht, weckt sie, auch wenn man um die Vergeblichkeit dieses Träumens weiß und »das Tiefdurchkreuzte von Begehr und Enden« kennt.
Selbstliebe
Tiefdurchkreuzt: Benns Liebes-Ich sind Selbstzerstörung und Entgrenzung, Drogen und Rausch nicht fremd. Wer einen anderen zu lieben sucht, gerät sich selbst in den Blick. Das Auge oszilliert zwischen Ich und Du, verwischt die Spaltung willentlich, reinszeniert sie, verlegt sie aus dem Äußeren in das Innere von Ich und Gedicht, auf dass sie in Sprachgestus und Rhythmus wiederkehre. Nicht zufällig entstehen Zeilen wie »du musst dir alles geben«; nicht zufällig schwanken die Verse und meinen mit »ich« und »du« jeweils das sprechende »Ich«, in unterschiedlichen Abstandsverhältnissen zu sich selbst. Nicht selten lesen sich diese poetischen Selbstanreden im »du« wie kausale »Vorstufen« zu Liebesgedichten. Sie sind Bedingungen der Möglichkeit von Liebe, die ihrerseits eines neuen »Niveaus« bedarf, was weniger wertend denn egodätisch gemeint scheint. »Egodätisch« könnte (fast) ein Bennwort sein: Ausmessung und Abbildung der widersprüchlichen Schichtenbildung des Menschen. Benns Liebesgedichte sind Sprach-, Selbst- und Lebenserkundung in einem, Auflösung und Rausch finden sich ebenso beschworen wie die Einheit des »gezeichneten« Ichs – eine Einheit also, die entsteht, wenn das Ich beschrieben wird, gemalt, ins Bild gefasst.
Nur zwei Dinge
Durch so viel Formen geschritten,
durch Ich und Wir und Du,
doch alles blieb erlitten
durch die ewige Frage: wozu?
Das ist eine Kinderfrage.
Dir wurde erst spät bewusst,
es gibt nur eines: ertrage
– ob Sinn, ob Sucht, ob Sage –
dein fernbestimmtes: Du musst.
Ob Rosen, ob Schnee, ob Meere,
was alles erblühte, verblich,
es gibt nur zwei Dinge: die Leere
und das gezeichnete Ich. 69
Man kann einiges gegen dieses Gedicht einwenden: der leicht selbstmitleidige Ton, die behauptete Schicksalsbestimmtheit. Die alliterative Billigkeit von »Sinn, Sucht, Sage«. Schließlich das schiefe Bild von verbleichendem Schnee. Selbst die Reime wirken unbeholfen. Benn konnte das besser. In diesem Gedicht anscheinend nicht.
Dafür gibt es einen guten Grund. Nur zwei Dinge koppelt Sprache (Pronomen) und Ding. Benn, lebenslanger Spracharbeiter, weiß, dass Sprache kein Ding ist. Das Gedicht schwankt und verliert fast den Fokus. Es gelingt ihm, etwas anderes auszudrücken.
Lässt man sich indes auf den Versuch ein und versteht Sprache probeweise als Ding, stellt sich die Frage, ob andersherum auch Dinge Sprache sind oder sein können. Üblicherweise sehen wir das nicht so, weil unsere Welt daraus besteht, Sprache und Dinge zu unterscheiden, was wir wiederum eben mithilfe von Sprache tun. Wenn wir aber Sprache – und da sitzt der Dichter – gegen den Strich bürsten, nach dem sie uns vorgibt, die Welt zu sehen – indem sie uns vorgibt, die Welt zu sehen – sehen wir, wie sie selbst »die Dinge« macht. Wenn wir sie ihrerseits als Ding betrachten, geraten wir in einen mächtigen Strudel. Werden selbst zum Ding.
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