Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Heimliche Helden

Heimliche Helden

Titel: Heimliche Helden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Draesner
Vom Netzwerk:
Zensur unterzieht. Er lebt im zeitspezifischen Unglück eines Ersten und im Desaster eines Zweiten Weltkrieges.
    Für Valentin wird dies zum Verhängnis. Seine Komik ist im Kern Widerrede zu einer Stadt – mit ihren Menschen, Gebäuden, ihrer »Mentalität«. Oft wirkt es, als spiegelten sich München und das Münchnerische in den Valentinaden. Das Wort »spiegeln« aber, das so unschuldig nach Echo und Treue klingt, führt hier grob in die Irre. Es ist, als setze man sich in eine der weißblauen Münchner Straßenbahnen in der festen Überzeugung, durch eine Fahrt mit ihr das weißblaue Dasein kennenzulernen. Tatsächlich entsteht bei Valentin das eine aus dem anderen: ohne München kein Karl, ohne Karl nicht dieses München, in Worte gefasst und hineingebilde(r)t in unsere Köpfe, die das Gezeigte dann draußen, im »wirklichen« München wiedererkennen, gar nachahmen, also erzeugen, bis es sich steigert, ein Typus sich ausprägt und etwas sich zu verstehen beginnt, das ohne spiegelnd-verzerrendes Aufnehmen und erfindendes Sprechen nicht zu verstehen wäre, weil es so – gar nicht existierte.
    Man kann diesen Vorgang als ein Stück Autopoiesis einer Identität begreifen. Identitätsaufbau (»so wollen wir sein«) und Abspiegelung greifen ineinander, Erfindung und autopoetische Bekräftigung (»so san ma«) folgen einander. Ich selbst lernte Valentin in eben diesem Zusammenhang kennen, als Witz und Gegenwitz im Münchner Baukasten »wir«. Dass er Kraft aus dem »Regionalen« schöpft, ist offensichtlich. Für mich mischen sich hier Gestalt und Stimme mit persönlichen Erinnerungen an Valentins Tochterfamilie in Planegg, seinen 15 Kilometer vom Marienplatz entfernten Zufluchts- und Zwangsort von 1943 bis zu seinem Tod fünf Jahre später. In der deutschen Literatur scheint es nicht nur bei Valentin so, als entfalte beste Komik sich gern in Bezug auf Heimatliches. Ein nur auf den ersten Anschein unwahrscheinlicher Verwandter des mageren Komikergestells findet sich in Johann Peter Hebel, der als akuter Beobachter aus der Landschaft und Mentalität des Oberrheins allzu menschliche Verhältnisse und Verhaltensweisen extrahierte, um sie listig für uns festzuhalten. Die Tonlagen der beiden Autoren liegen denkbar weit auseinander und doch kennzeichnet sie, dass sie es verstehen, einen Satz in seiner Mitte zu wenden, Pointen zu staffeln, aufzuheben, sich selbst vorantreiben zu lassen, bis das letzte Wort das erste wie vorletzte untergräbt und eben dadurch stärkt.
    »Saubande, dreckade!«
    Für Valentin, der gern unbewegt für Stunden im Isarwasser stand, für Valentin, dieses phantastische Gewächs aus der Münchner Au, lag es nahe, seine Münchenliebe durch bestmögliches Münchenschimpfen auszudrücken, das er wiederum tarnte als Münchenlob, wie zu hören und nachzulesen in dem Lobestext auf die beste aller Münchner Ideen, die Gründung der Isar.
    Kleine Verschiebung, großer Effekt: Erst gab es die Stadt, dann verlangte man nach einem Fluss.
    Die Isar aber, obwohl von den Münchnern gegründet, erschien nicht.
    Extrablätter verkündeten den Skandal. Als das grüne Wasser endlich geruhte herbeizufließen, wurde es von einer Rede des Bürgermeisters empfangen, die, man möchte es kafkaesk nennen, des schlechten Wetters wegen von niemandem gehört, aber vom Turmwächter des erst später erbauten Frauenturmes mitstenographiert wurde und dank des Herrn Valentin auf die Nachwelt kam. Die Isar, bekannt gemacht mit ihren Münchner Aufgaben, zu denen die Fäkalienentsorgung gehörte, entwickelte sogleich ein Valentinsches Wesen: Sie nahm das dreifache, sie ehrende »Hoch« wörtlich. »Die am Ufer stehenden Menschen flohen in die Stadt – ins Hofbräuhaus, welches bald überfüllt war, der Rest zog traurig von dannen – in die Kirche.« 76
    Die Stadtväter beratschlagten und taten nichts, was bald als sehr erfolgreich galt, denn das Wasser sank. Zum Abschluss wird der bayerischen Ingenieurskunst ein Loblied gesungen. So eingebettet habe man die Isar nun, dass sie nie mehr überfließen könne. Valentin bringt diese Preisung derartig böse hervor, dass er sich den Münchnern als erster Grüner empfiehlt.
    Dabei hat er nur wieder etwas auf den Kopf gestellt und schlenkert nun selbst mit den langen Beinen dazu in der Luft. Wir hingegen stehen auf den Füßen, doch alles dreht sich, die Zeiten wollen durcheinanderkommen, die Vergangenheit lacht uns aus, die Isar rauscht in höchster Höhe dahin, wir rennen unten, der Kopf

Weitere Kostenlose Bücher