Heimliche Helden
Gerhard Falkner
Drei Gedichtbände hatte Gerhard Falkner zwischen 1981 und 1989 veröffentlicht; als ich Anfang der neunziger Jahre nach ihnen suchte, ließ keiner sich finden. Stattdessen stieß ich 1995 in Berlin auf ein harmlos aussehendes, stark rosafarbenes Büchlein des Autors: Über den Unwert des Gedichts . Rasant ging es los, ab in den Untergrund. In einem kleinen Käfig sitzt der Sittich am Helm des Bergmanns, unmittelbar neben dessen Lampe. Kippt das Wetter, geht als Erstem dem Vogel die Luft aus. Kippt der Sittich, rette sich wer kann. Ich musste lachen, und es blieb das Lachen mir im Hals stecken: Einen so lustigen Dichter wie diesen Sittich hatte ich selten gehört. Neben der Lampe der Zeichen-Vogel, getragen am Kopf – unter Schutt und Stein. Rette sich, wer kann.
Hier sprach jemand erfinderisch, selbstironisch, übertreibend-exakt über die Grenze zwischen Sprechen, Nachreden und Nichts. Die Grenze zwischen Gedicht und – nun, eben keineswegs dem unsäglichen »Unsagbaren«, sondern unseren Diskurskonstellationen und Beschleunigungen im Medien-, Moden- und Markenrascheln, im Wettlauf um Geld, im Werben und Kalauern des Jetzt. Hier sprach jemand mit Leidenschaft. Gerhard Falkner schreibt über das Dichten, weil dieses Nachdenken vom »Normalrand« her – in Prosa, mit Feuer und Witz – dieses Sprechen über die Bedingungen, unter denen der Dichter lebt in den Augen der anderen, in der Öffentlichkeit als jenem Raum, den jedes Gedicht braucht, um Gedicht zu sein, weil dieses Sprechen über das unsichtbare Exil und Exiliertwerden der »Dichter«, schlimmer noch Lyriker, das täglich stattfindet, sich ausbreitet, absichtlich schlecht versteckt hinter Lippenbekenntnissen zur »kulturellen Wichtigkeit« der poetischen Sprachkletterei im Doch-Affenzoo, die Achtung vortäuschen und Missachtung nie verbergen – Frage: »Kann man davon leben?« – Antwort: »Wie Sie sehen, bin ich tot« – weil dieses Sprechen angesichts eines sich zunehmend verengenden und zugleich verdriftenden (aus der Sprache als Wissen und Können herausschwimmenden) Normalraums unabdingbar wird: auch als Hinweis darauf, dass die Person, die dichtet, dies nicht tut, weil sie zu dumm ist für anderes, sozusagen ein genereller Idiot , sondern weil sie ihre Intelligenz, ihre spezifische, etwa Falknersche Wachheit, ihre scharfe Beobachtunsgabe, ihre lang erprobte Intuition und Bewegungssicherheit in Räumen, von denen andere nicht einmal zu träumen wagen, nutzt, um uns in den Spuren unserer Sprache nachzugehen. Insbesondere auch »nach unten«. Damit wir merken, wann uns die Luft ausgeht.
ACH; DER TISCH
(Zur PoeSie des PoeDu)
Und er wird mich sagen hören: ach der Tisch!
ach der … wird mich sagen hören: ach der Tisch!
und er wird mich fragen werden: wo! Zu!
und er wird mich sagen hören, ach der
sagen hören … ach der … ach der Tisch!
der Tisch … mit dem Brot!
Und er wird mich haben wollen, haben wollen
wie ich sage, ach die … ach der Tisch 94
Am liebsten zitierte ich dieses lange Gedicht zur Gänze. Als ich es zum ersten Mal las, riss ich die Augen auf: Da dachte jemand mithilfe eines Gedichts. Da kannte jemand die Theorien der Gegenstände, des Ich und des Du, und hatte sie abgestreift, ohne sie wegzuwerfen. Der »Tisch«, das vielfach malträtierte Standardbeispiel aus dem philosophischen Seminar: Wie konkret und intelligent stand er da. Wie machte dieser Falkner das? Er erwischte mich nicht kalt, sondern heiß. In den Schleifen seiner mit Wiederholung und Variation spielenden Sätze, seiner Musiksätze, die die Syntax öffneten und sich in neuen Mischungen zusammenfanden, gingen mir die Gedanken im Schädel rund, mit Gefühlen fürs Brotessen und Tischdasein, fürs unterm Tisch sein, fürs Ach und für, ach, das Ich.
Denken im Dichten setzt voraus, dass der Dichter sich gleichermaßen in Gedanken wie Wahrnehmung, in Sprachsinn wie Sprachlautung bewegt. Quer durch die Zeiten. Auch deswegen sind Falkners Gedichte immer Echoräume von Formen und Tonlagen. Auch deswegen übersetzt Falkner aus anderen Sprachen: Er hört zu. Horcht auf. Lernt, die Hand, der Sprache nachforschend, neu zu bewegen. Nomade musst und willst du bleiben.
Falkner ist ein Dichter des Satzes. Gewiss arbeitet er mit Bildern, Rhythmus, Wiederholung und Staffelung. Vor allem aber arbeitet er mit Fläche und Raum. Zahlreiche seiner Gedichte sind Teil von Zyklen, seine Gedichtbände Projekte. Langgedichte wie Gegensprechstadt – ground zero bauen
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