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Heimliche Helden

Heimliche Helden

Titel: Heimliche Helden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Draesner
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man auch von Nabokov nicht loskommen will.
    Eigners Figuren verformen sich aneinander, jeder Roman ist ein eigener Raum, die Räume der Romane sind miteinander verwandt. Durch ihre Mitte findet sich ein Schwimmbecken gespannt, lang, rechteckig, schmal, mit einem Sprungturm, damit man sich erhöht und versenkt, klettert, fliegt, atemberaubend ist. Am Beginn von Brandig beschreibt Eigner über zwei Seiten hinweg eine Frau, mit der der Ich-Erzähler nach einer zufälligen Begegnung im Zimmer sitzt. Sie wird ihm bald anbieten, das Gespräch, das er sich so dringend wünscht, mit ihr in einem Schwimmbad zu führen. Noch ist sie in Gedanken versunken, ihr Beobachter ebenfalls, bis es zu still wird.
    Das war auch schwer erträglich für mich.
Also sagte ich so behutsam wie nur irgend möglich diesen
einen Satz, nichts als den Satz.
»Ich möchte«, sagte ich, »Sie was fragen.«
Worauf sie aufsprang von ihrem Stuhl, mit herzzerreißender Stimme
»Nein!«
schrie, mich mit weit aufgerissenen Augen anstarrte und
unmittelbar darauf wie geistesabwesend hinzufügte:
»Was haben Sie gesagt?«
    Das folgende Kapitel beginnt mit der exakten Wiederholung der Szene, wiedergegeben als indirekte Rede, eingebettet in Erleben und Wertung. Ein »dass« eröffnet die Folge. So wird der Haupt- zum Nebensatz:
    Dass eine Frau, der ich gesagt habe, dass ich sie etwas fragen möchte, aufspringt von ihrem Stuhl, mit herzzerreißender Stimme …
»Nein!«
schreit, mich mit weit aufgerissenen Augen anstarrt und
unmittelbar darauf wie geistesabwesend hinzufügt:
»Was haben Sie gesagt?!
was haben Sie gesagt?«
um sich mit energischem Schulterschwung abzuwenden
    – es folgt eine Druckseite akribischer Körperbeschreibung bis zu dem wunderbaren erzählerischen Ende (Ziel, Zweck, Höhepunkt):
    so dass ich, von der unerträglichen Dauer der Wahrnehmung geschwächt und schon im Glauben, alles sei so, wie ich es wahrgenommen habe, ganz außer mir und insofern auch in der allerbesten Ordnung der Dinge,
so dass ich nahe daran bin, zu weinen:
das – so etwas – vergisst man nicht. 90
    Eigner erzeugt eine Art Sprachsirup, durch den das Erleben doppelt gezogen wird. Man sieht im großen Kleinen, wie Sprache Raum öffnet, um Figuren entstehen zu lassen, wie Handeln und Erinnern, Erleben und Sprachwahrnehmung, Erinnern und Täuschen einander bedingen »schon im Glauben, alles sei so, wie ich es wahrgenommen habe«. Was der Erzähler indes nur glaubt, wenn er außer sich ist, nur dann scheinen die Dinge in bester Ordnung.
    Denkt man über die Verkettung von wahrnehmendem Subjekt, Wahrnehmung und »Welt« nach, geht einem die Logik dieser Sätze auf: Ist alles tatsächlich so, wie ein Subjekt es wahrnimmt, kann das nichts anderes bedeuten, als dass das Subjekt bereits gelöscht ist, denn wäre es da, mischte es sich ein. Was andersherum einfach, aber scharf gefolgert, mehr oder minder sanft heißt: Ist das Subjekt da, nimmt es also wahr, dann verfälscht es, lässt keinen Stein auf dem anderen.
    Das gilt allemal für einen Erzähler mit Schuppenflechte, so die Diagnose des einen Arztes, oder Fischschuppenkrankheit, so der Spezialist. Egal, wie das Zeug auf der Haut heißt, schön sieht es nicht aus. Gelblich beschuppt muss der Erzähler, enger Freund und Bewunderer des verschollenen Paul Brandig, im übrigen Ehemann Trudes, Kenner der Ex-Frau Brandigs, Kenner der Geliebten Brandigs, die jetzt Brandigs Ex-Geliebte ist, mit eben dieser Ex-Geliebten und seiner Schuppenflechte nun endlich und endgültig ins Hallenbad. In rascher Folge werden Körper sichtbar gemacht, wird geschaut und gestarrt, finden bademeisterliche Kontrollen statt, man redet, redet, schwimmt. Brandigs Ex betritt den Raum, »die Schönheit der Erwarteten – ich erschrak – wie Schritt für Schritt aufgebraucht von der Schönheit der Erschienenen.« 91
    Wie präzise das ist, wie seinerseits schön. Eigner gelingt es mit wenigen Worten, sowohl das Bild im Kopf als auch die Jetztwirklichkeit der Figur zu zeigen. Das eine frisst das andere auf. Dass dabei die erscheinende Wirklichkeit eine geschriebene ist, die im Leserkopf erscheint, verknotet die wechselseitigen Auszehrungs- und Verschlingungsverhältnisse der Figuren einmal mehr. Sie erreichen die Wirklichkeiten von Imagination und Empathie. Eigner ist ein Meister der Verkettung, daher muss auch Sprache sich bei ihm stets dehnen und schrumpfen, eingetaucht werden, auf dem Startblock stehen. Schnellen, versinken, gewinnen, verlieren: ein

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