Heimliche Helden
Nicht Romantik in der x-ten postpostmodernen Saloppform, sondern immer Textur, ernst. Allemal, wenn der Erzähler lächelt.
Das Ich, das in der Novelle Bruno spricht, ist selbst ein Polymer. Aus vielen, einander ähnlichen Teilen gebaut. Ähnlich zur Biographie seines Autors, ähnlich zum Foto in der Lokalzeitung, ähnlich zu Fragen der Ähnlichkeit. Bissig heiter beginnt die Erzählung, Satz um Satz, im Außen:
Dass ich hier bin, habe ich in der Zeitung gelesen.
In der Zeitung steht, ich sei in Leuk eingetroffen.
Leuk ist ein Ort im Wallis.
Das Wallis ist ein Kanton in der Schweiz.
Die Schweiz ist ein kleines Land aus Granit im Herzen Europas.
Da der Notiz in der Zeitung ein Bild beigestellt ist, weiß ich wenigstens, wie ich aussehe. 98
»Durch diese Notiz mit sich selbst bekannt gemacht«, wie man in Abwandlung eines Kleistsatzes aus der Novelle Die Marquise von O… sagen möchte, kann der Ich-Erzähler erscheinen. Auch er ist allein nichts, die Rede über ihn macht ihn aus. Diese Konstellation, die den Helden schon im Nibelungenlied erzeugt (Held und Erzähler, Held und Beobachter, Held und Heldenverehrer), die sich bei Gerd-Peter Eigner zu der fast symbiotischen Lebensvermengung Erzähler-Held steigert und sich bei Hans Joachim Schädlich in Redeakte aufgelöst findet, wird bei Falkner in einen weiteren Bereich der Heldenausdehnung hinübergespielt: jenen des Tieres.
An Tierhelden scheinen wir auch heute noch gern zu glauben, fast jeden Sommer wird mindestens ein global heroisches Tier gekürt: ein gestrandeter Wal, das Eisbärbaby Knut, oder eben jener Braunbär, den die Medien Bruno tauften.
Er kam aus einem Naturpark bei Triest und begab sich, als er zwei Jahre zählte, im Sommer 2006 auf Wanderschaft nach Norden. Österreich und Bayern erreichte er, der eigentlich JJ1 hieß und bald auch »Problembär« genannt wurde, da er Schafe und andere Haustiere schlug. Man gab ihn zum Abschuss frei. Als es daraufhin Proteste hagelte – Bruno war immerhin der erste Braunbär, der sich seit 170 Jahren wieder frei in Deutschland bewegte –, versuchte man, das wandernde Tier mit anderen Mitteln einzufangen. Das scheiterte.
Nun steht Bruno, nach allen Regeln der Kunst präpariert, im Schloss Nymphenburg im Museum »Mensch und Natur« neben dem Präparat des letzten in Bayern erlegten wilden Braunbären von 1835 und erinnert uns. An seine »Natur«? Oder an unsere Taten?
Falkners Novelle fragt, präzise gebaut, nach diesem Naturverhältnis. Wie Trittsteine legt der Satzdichter seine Wörter aus. Ehe man sich versieht, steht man mitten in einem Land, das angeblich »Schweiz« heißt, ein Ich ist, und mindestens einen Bären enthält. Sowohl der Ich-Erzähler als auch Bär Bruno, dessen Name, als hätte Falkner ihn sich erfunden, im »uno« sowohl das Wer-Sein als auch das Alleinsein ausdrückt, bespielen einen ihnen unvertrauten Raum. Kein Wunder, dass der Mensch sich auf die Suche nach dem anderen Wesen macht, dem er, wie sich selbst, in der Zeitung begegnet. Alle Muster heldischen Erzählens klettern mit ihm über Stock und Stein: Freundschaft, Schatzsuche, âventiure – Ausfahrt ins Unbekannte, Jagd. Als Heldenmacher erscheint das Lokalblatt: Es verkündet, wer wer ist, wer wichtig ist, wie der Wichtige aussieht, auch wenn man ihn niemals wirklich zu sehen bekommt. Komisch, grotesk, und doch mehr als ein schwarzhumoriges Schatten- und Satirenspiel.
Es folgen Sprünge ins Unbekannte. Weite Sätze. Die Novelle führt von außen nach innen. Nicht von ungefähr fällt gleich zu Beginn das Wort »Granit«. Ein grobkristallines, magmatisches, also feuriges Tiefengestein, reich an Quarzen und Feldspat, aber auch dunklen Mineralen, etwa Glimmer.
Der Temporärdichter Leuks, vielleicht sollten wir ihn selbst Bruno nennen, gerät ins Stolpern: Feldspat, Quarz und Glimmer, die drei vergess’ ich nimmer . Auf der Suche nach Bruno stürzt er über eine Felskante, über ein Bärenbild, über sich selbst. Ehe er sich versieht, hängt er über dem Abgrund, an nichts als dem eigenen Arm.
Der Mann kann sich retten. Einem Münchhausen gleich zieht er sich allein an sich selbst über die Abbruchkante ins Leben zurück. Der Schrecken sitzt dem Leser in den Knochen. Das ist klug erzählt: Tatsächlich bedrohlich ist nicht der Bär. Gefährlich wird es nicht dort, wo man es erwartet, sondern wo man trällernd dahingeht. Auf eigenen Wegen wandelt. Trotzdem ist es gut, im Leben das Erschrecken nicht zu vergessen: vor Sätzen,
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