Heimspiel
Macht genau damit beginnt. Eine Fehlervermeiderin. Sie trägt ihr strenges amerikanisches Kostüm – irgendetwas zwischen Stewardess und Investmentbankerin – wie eine Uniform. Bei mir sehen die Kostüme viel plumper aus, denkt sie und verdrängt die Selbstkritik sofort wieder. Die Kanzlerin begutachtet die Amerikanerin aber genau. Wenn sie schließlich isst oder trinkt, dann geschieht das weder gierig noch asketisch, sondern rein absorbierend. Ihre Stirn ist riesengroß, ihre Zunge aber auch. Im Gespräch sucht sie nicht den Monolog, nicht einmal die Pointe. Sie sucht den anderen. Sie wirkt mehr akademisch als politisch, mehr diskursiv als plakativ. Ganz unüblich für einen Machtpolitiker neigt sie zur Abstraktion. Der Kanzlerin gefällt das. Das Frühstück der beiden bekommt freilich leichte Züge eines Doktorandenseminars. Wenn die Amerikanerin etwas erklärt, nimmt sie ihre Pianistinnenfinger zu Hilfe; ihre Gestik ist professoral, ihre Mimik zurückhaltend europäisch. Sie argumentiert gern dialektisch und genealogisch. Nie bevormundend, das gebietet die Klugheit – die Diplomatie sowieso. Nur ihr Blick ist amerikanisch. Sie schaut einem direkt ins Gesicht, sie zögert nicht und flackert nicht. Ihr Blick ist voller Zielstrebigkeit und Kraft – wie ein Amtrak-Zug, der durch Alabama rauscht. Die Aktion zur Beendigung der Geschlechtertrennung im Fußball begreift sie sofort als großartiges Profilierungsinstrument. Schließlich will sie noch erste Präsidentin der USA werden. Darum fallen ihre Worte in der nachmittäglichen Pressekonferenz besonders pathetisch aus.
»Es gab Zeiten, da spielten die Klassen Englands getrennt Fußball. Wir haben sie überwunden. Es gab Zeiten, da spielten die Rassen Südafrikas getrennt Fußball. Wir haben sie überwunden. Nun gibt es noch Zeiten, da spielen die Geschlechter getrennt Fußball. Es wird Zeit, auch das zu überwinden.«
Der Kanzlerin ist ein wenig unwohl beim Gedanken an die Geschlechter-Apartheid in deutschen Stadien. Ihr Gesicht versteinert sich, aber sie weiß das als Entschlossenheit interpretierbar aussehen zu lassen. Sie ergreift das Mikrofon und erklärt:
»Es mag uns heute noch utopisch erscheinen, dass wir zusammen Fußball spielen. Aber ist es uns nicht vorgestern auch utopisch vorgekommen, zusammen zu arbeiten? War es für uns gestern nicht noch illusorisch, zusammen zu regieren? Heute bin ich die erste Kanzlerin Deutschlands und wäre stolz, wenn wir in der Nationalmannschaft bald die eine oder andere weibliche Führungskraft sehen könnten.«
Auf die Frage eines französischen Journalisten, ob sie denn für eine Frauenquote im internationalen Fußball plädiere, beschwichtigt sie:
»Nein, man sollte dem Fußball erst einmal die Chance geben, das selber zu regeln. Wir plädieren für eine Öffnungsklausel.«
Keine Minute nach der Pressekonferenz ist die Botschaft der beiden Staatsfrauen die Weltnachricht Nummer eins. Die Agenturen überschlagen sich mit Eilmeldungen und Korrespondentenberichten. CNN und BBC unterbrechen ihr laufendes Programm. Das Foto der beiden, wie sie ihre vier weiblichen Hände auf einen FIFA-Fußball legen, wird zur Ikone des Moments. In Lateinamerika hält man die Nachricht tagelang für einen Scherz. Doch die FIFA lässt in Zürich hastig erklären, dass man den Vorschlag nicht nur prüfe, sondern »ausdrücklich begrüße«. Für die nächste Sitzung des Exekutivkomitees werde die Tagesordnung erweitert und das Thema offiziell beraten. Was die FIFA-Presseabteilung verschweigt, ist, dass die Tagesordnung bislang nur einen, seit Monaten mit aufwendiger Reisediplomatie vorbereiteten Punkt enthielt: den neuen Spesenfonds für den Hund des FIFA-Präsidenten.
Der FIFA-Präsident lässt noch am gleichen Tag eine persönliche Erklärung verbreiten, dass er die Frauenquote im Fußball unbedingt befürworte.
»Der Fußball sagt Nein zu Rassismus und Diskriminierung. Er überwindet Grenzen – auch zwischen den Geschlechtern.«
Er werde sich persönlich dafür einsetzen, dass möglichst bald Vorschläge für einen »ersten Schritt der Vernunft« gemacht würden, zum Beispiel dass man mit den Torfrauen und den Abwehrreihen als fixer Frauenquote beginne. Das Kommuniqué aus Zürich schließt mit dem Hinweis, die nächste Weltmeisterschaft solle auf den nördlichen Mariannen stattfinden. Der Pazifik sei einerseits reif, endlich eine WM auszurichten. Andererseits sei just diese Inselgruppe mit dem größten Frauenüberhang auf der
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